14. Januar 2008

Keine Kalauer

 

 

Da ist eine junge Frau, ermordet, in ihrer Wohnung. Wäre sie drei Minuten später zur Tür hereingekommen, wäre nichts passiert. Ihr Ehemann will Vergeltung, doch es ist schwierig, ein dazugehöriges Gefühl über 20 Jahre lang aufrechtzuerhalten, so lange nämlich, wie ein Mörder in Haft ist, lebenslänglich - aber lebenslänglich ist eben nicht ein Leben lang, immerhin. Um so einen Wunsch nach Vergeltung lebendig zu halten, muss man allein bleiben, darf keine näheren Beziehungen zulassen, man muss sich den Vollzug der Tat schwören, ein Dokument dessen anlegen, eine Kassette aufnehmen zum Beispiel, muss das Faktum, diesen Schwur getan zu haben, pflegen und isolieren und vor seichter Vermischung mit allgemeinem, gewöhnlichem Gram abkapseln. Ein Kunststück. Und es wird nicht leichter, diesen Menschen schließlich ganz nah zu kennen, zu umlauern, aber immer deutlicher zu mögen, Sympathie, sogar Freundschaft für ihn zu empfinden - Vertrauen auch. Und gerade das Dokument, welches angelegt wurde, um sich immer der Durchführung der Rache zu versichern, wird zur Falle, die zaudern macht, denn das Dokument hat kurzzeitig und ungeplant den Besitzer gewechselt.

Bruno Preisendörfer legt einen Roman mit archaischem Problem vor, der aber ganz unpathetisch über die Krux von Vergebung und Vergeltung berichtet, im Taxifahrermilieu angesiedelt, in Deutschland, heute, in einer mittelgroßen Stadt. Der eine will Vergeltung und ist nicht im Stande, sich diese zu verschaffen, obwohl er das Faktum, den Schwur geleistet zu haben, der die Rachetat möglich machen soll, bewahren konnte in einem Bereich seiner Seele, für den er ein Hochvakuum herstellen konnte. Der andere will Vergebung und giert andererseits nach dem Vollzug der Rache, da er die Vergebung nur von der von ihm getöteten Frau erhalten kann.

Wer sich nur auf einen Schwur noch berufen kann für eine Rachetat, ist genauso verzweifelt wie der, der die Vergebung nur von einer Toten annehmen kann. Als Kalauer formuliert, wäre es etwa so, dass man nur dann nicht das Arschloch ist, wenn man sich zum Opfer einer Situation machen kann. Hier sehen sich aber beide gegenseitig als das jeweilige Opfer und sind demnach ausgemachte Idioten. Preisendörfer macht aber keine Kalauer.

 

Gustav Mechlenburg

 

Bruno Preisendörfer: Die Vergeltung, Liebeskind 2007, 240 Seiten, 18,90 €

 

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