29. Oktober 2007

Venedig 2007

 

Von Nora Sdun

 

„Tizian war 41 Jahre alt, da er 1477 in Pieve di Cadore geboren wurde.“

 

Das ist sicher auch möglich, so ein Satz, aber man kommt irgendwie doch durcheinander, diese Reiseführer – zwingen einen ständig zu kulturanthropologischem Bodenturnen. Wie man überhaupt zu Wirrheit neigt, wenn man sich einige Tage in einer Postkarte aufhalten muss. Venedig. Die ganze Stadt ist voller Spezialisten, die sich gegenseitig aus Reiseführern vorlesen und alle in höchstem Maße informiert sind, kein Platz, der nicht bezeichnet und benannt werden könnte.

Ein Silberreiher kurvt ein wenig eckig zwischen Arsenale und Lagune auf und ab, während man auf seine Akkreditierung wartet, ein eigenartiges Prozedere, bei dem man eine Mail von einer dritten Person, die sich nicht weiter ausweisen muss, an das Office senden lässt. Mit dem Wortlaut: ... is working for the magazin Textem.de with frindly regards.

1895 gab’s die Biennale das erste Mal, ein Marketingeinfall, um der ins bedeutungslose versunkenen Stadt wieder zu ein wenig internationaler Beachtung zu verhelfen – hat geklappt.

1974 fiel die Biennale aus.

2007 gibt’s vor allem Urbanismus, Krisen, Kriege in para-, pseudo- oder ernstlich dokumentarischer Absicht der Länge und Breite nach, historische wie aktuelle Schauplätze auf der ganzen Welt, auf Film, Foto oder Leinwand. Künstler, denen dazu nichts einfällt, beschäftigen sich mit Mustern und geraten dabei immer mal wieder in folkloristische Zustände, was durch die ungemein praktisch, also leicht konsumierbare Regelung der Nationenpavillons verstärkt wird. Vor allem in diesen Pavillons hat man regelmäßig den Eindruck, in einer Boutique zu stehen, die Displays, die entweder selbst die Kunst sind oder diese tragen, würden jedem Gucci-, Plattenlabel-, Turnschuh-, Seidenschalgeschäft Genugtuung verschaffen.

 

Eine Eidechse auf der Wand kopfüber. Die Veranstaltung adelt die Räume des Arsenale als Venedig-typisches, angeblich hochgradig geeignetes Gelände für solcherart Großausstellungen, in jedem anderen Zusammenhang würden Künstler verärgert aufschreien, wenn sie sich mit einem solchen Rustico-Flair konfrontiert sähen. Schlecht beleuchtet, nasse Wände, Putz bröckelt, und alles ist mindestens 300 Jahre alt.

Noch eine Eidechse, sind ja auch so Urviecher.

Auch in der Academia, wo ich artig den unterschied zwischen Veronese und Tintoretto zu erkennen lerne, ist die Beleuchtung schlecht, die Bilder also ungemein muffig und schwer zu betrachten. Der Unterschied ist aber doch noch zu erkennen. Statisch und elegant vernebelt, mit Grandezza, aber nicht krachig der eine, und verdreht, latent hysterisch, braun-weiß mit Flugübungen und bizarren Perspektiven der andere.

Wenn alle Personen, die sich hier über die Leinwände und Deckengewölbe wälzen, leibhaftig im Raum wären, würde es sehr eng. Signifikantes Merkmal zeitgenössischer Kunst: Menschenleere. Maximal 10 Personen – eine kleine Party. Sozusagen sacra conversatione, wie damals auch schon gerne thematisiert, alle stehen dekorativ rum und schauen aneinander vorbei und keiner redet ein Wort. (In Bälde folgt hier eine vergleichende Untersuchung des Motivs der sacra conversatione bei Bellini und U2.)

 

Also zeitgenössisch jetzt wieder.

Switzerland, 90er-Sahnestückchen gemustert, Effekt macht die Technik, sonst nichts zu sehen, außerdem gibt’s noch S/W-Animationen, die sollen wohl melancholisch oder ähnliches sein, das legt der Soundtrack nahe – sind aber vor allem behämmert.

 

Venezuela betreibt Kolonialforschung. Paradefiguren ethnischer Gruppen, als retraumatisierende Stellvertreter, was weiß ich, Kitsch und Photoshop mit Sicherheit.

Russia betreibt Schwulen-Ulk mit paramilitärischem Zug (man lese dazu besser den brauchbaren Artikel von Arno Widmann in der FR vom 20.10). Korea is sweet und so ganz für die megabesessene Bevölkerung geeignet – nicht zu ertragen.

 

Ich weise nochmals auf die ungemein praktische Nationenpavillonregelung hin. Endlich einmal fällt es nicht weiter auf, dass man sich keine Namen merken kann, man benennt die Nation und hat damit hineichende Anhaltspunkte, worüber man spricht.

 

Japan betreibt Hiroshima-Mapping. Kanada ist dann die erste Spiegelboutique, die Beste. Es macht den Eindruck, als wäre dort ein Inneneinrichter von Vuitton durchgedreht, ... Sophie Calle ist blöd, das finde ich immer und ich kann davon nicht lassen, das beste an ihrem Raum, dem französischen Pavillon, sind die prächtigen Credits für die Financiers, also Chanel und andere Luxus verströmende Firmen. Die Tschechische und Slowakische Republik ist schon wieder eine Boutique, ein Museumsshop diesmal mit Reliquienverkauf, 80er-Jahre-Wachsmoulagen und ein himmelschreiend überflüssiger Begleittext (wie üblich): „The Idea to cast and exibit the surface of one´s own body is not new in art – what is new and significant is the input of this artist in the context of contemporary culture ...“ Oh jeahh, und dann geht’s auch schon wieder los mit Foucault und Deleuze ...

Australien hat wiederum eine Verkaufshilfe, nun mit schicker Powerpoint-Präsentation, es sagt einem nichts, vielleicht sollte man es kaufen?

Felix Gonzales Torres bei den Amerikanern beschert einem den Anblick zahlreicher „Maurersparschweine“, die sichtbar werden beim Raffen der Plakate, überall laufen Menschen mit riesigen unförmigen Rollen umher, auch weit am anderen Ende der Stadt begegnet man noch diesem Rollenträger, Kasserollen, Roletaking, es ist die gelungenste und gleichzeitig aus dem Ruder gelaufen anarchischste Form von Partizipation, die mir bekannt ist. Es gibt auch überquellende Mülleimer auf dem Gelände, worin entnervte Familienväter Stapel dieser Plakate wieder abladen, was andere nicht daran hindert, ihren Stapel dort zu komplettieren.

 

Griechenland weist dekorative Computerkaleidoskope vor, mit dazu arrangiertem Arbeitsprozess, der Nagelschere, Handarbeit und Naturfasern vortäuscht.

Ägypten ist völlig in didaktische Folklore versunken, mit Gold und Stabhölzchen und Schilfbootgeruch – Moses frisch eingetütet.

 

Rumänien macht eine ganz brauchbare Gruppenausstellung junger Künstler, es gibt ein Buch mit Abbildungen Ceausecus, was ich gerne mitnehmen würde, aber es wird zu gut bewacht, und erwerben kann man es nicht.

 

Interessant ist, dass die bei den Österreichern hängende, sehr große Landschaftsmalerei (weil sie auch im Freien hängt, hat das Ganze einen Gartenpartyeffekt, etwa so, wie wenn man einen Teppich auf den Rasen legte), die Betrachter sehr zufrieden macht, sie sich davor gegenseitig fotografieren und kein Problem haben mit ihrem sonst knöternd zur Sprache gebrachten Unverständnis.

 

Insgesamt ist das Gemaule aber viel schwächer als beispielsweise in Kassel, denn schließlich ist man ja auch irgendwie im Urlaub, was die absurde Kulisse nahe legt, und hat also eher Beschwerden gegenüber dem Frühstücksbuffet anzumelden und ist ansonsten ganz dem schönen Wetter ergeben.

 

Am besten von allen paradokumentarischen Politbeschäftigungen gefallen mir die Ergebnisse der Niederlande. Ein dreiteiliges Videogeflimmer mit Szenen durchdrehender Zoll- und Bundesgrenzschutzbeamten, die sich erschreckend mit ihren Zielobjekten vermischen, eine Evakuierungsübung, die in eine Kissenschlacht mündet und allerlei unkommentierte Sequenzen zu alltäglichen Szenen an allen möglichen Grenzen der Welt.

 

Isa Genzken hat meiner Vermutung nach zu billiges Silberspray verwendet, möglicherweise sah das in der ersten Woche gut aus, am Ende dieser Biennale ist der Eindruck arg filzig. Dieser Verfall, das zügige Verrotten ist auch an weiteren Exponaten unübersehbar, was einen in dieser pittoresken Kulturkulisse rasend macht, das nächste Mal also zur Eröffnung hinfahren.

 

Der Katalog ist dreiteilig, sehr brauchbar, von außen scheußlich anzusehen und verfügt über eine extra gebundene Exzerptsammlung, zusammengestellt von den Künstlern der Biennale. Der Titel „Pages in the Wind“ lässt das Grinsen wuchern, ja natürlich, Gerhard Richter zitiert wahrhaftig Goethe (in englischer Übersetzung).