16. Oktober 2007

Wirtschaftswunder-Goethe und Kulturbetriebsintrigant

 

Klaus Bittermann hat Günter Grass zum Achtzigsten ein Päckchen Boshaftigkeiten geschnürt

 

Von Jan-Frederik Bandel

 

Fast verlockt es einen doch, ihm zu gratulieren. Immerhin hat ihn Elke Heidenreich unter die Fabrikanten „ganz ekelhafter Altmännerliteratur“ gerechnet. Anregend klingt das zwar nicht – aber sollte es aus so berufenem Mund kein Lob sein? Neben hinreichend fragwürdigen Ehrentiteln wie „Pfeifenraucher des Jahres 2000“ oder „Träger des Literatur-Nobelpreises“ hat Günter Grass über die Jahre ohnehin eine beachtliche Menge hübscher Schmähnamen angesammelt.

So musste er sich in den Sechzigern gerichtlich gegen die Bezeichnung „Verfasser übelster pornographischer Ferkeleien und Verunglimpfungen der katholischen Kirche“ wehren. Friedrich Dürrenmatt fand ihn schlicht „zu wenig intelligent“, um dicke Bücher vollzuschreiben. Robert Neumann nannte den Grass-Evergreen Die Blechtrommel einen „zergangenen Prosabrei“, „ostpreußische Nachkneipen-Blubo, kraft-saftig, humorisiert von einem Tausendsassa, der sich ununterbrochen zu einem genialischen Stürmer und Dränger hinaufnummerieren will.“ Und Hubert Fichte schreckte nicht davor zurück, den Kollegen als „Wirtschaftswunder-Goethe“ zu titulieren. Eine Freundlichkeit war das gewiss nicht.

Wenig Nettes hat auch Klaus Bittermann im Sinn, der dem „Kulturbetriebsintriganten“ Grass pünktlich zum Achtzigsten einen kleinen Band mit Schmähreden, Polemiken und anderen gutgelaunten Unfreundlichkeiten widmet. Literatur als Qual und Gequalle heißt das Buch, das auf 128 Seiten eine ganze Reihe bekannter Autoren versammelt: Gerhard Henschel zum Beispiel wirft sich auf den Polit-„Gockel“ Grass und porträtiert ihn als Leserbriefschreiber, der sich – übertriebener Ambitionen wegen – zum Großschriftsteller gemausert habe. Wiglaf Droste vergleicht die „sozialdemokratische Mitmischmaschine“ Grass mit dem Dichter Peter Hacks, dessen einstiger Stoßseufzer auch das Cover das Buches ziert: „Wieso gilt ein mediokres Talent wie Herr Grass bei Ihnen als Papst der Epik, während Arno Schmidt seit gut zwanzig Jahren in der Ecke stehen muß, zur Strafe dafür, daß er deutsch kann?“, klagte Hacks in einem Brief an den Literaturkritiker Hellmuth Karasek. Henryk M. Broder schert sich nicht weiter um den zugegebenermaßen gehörig unverdienten Literatur-Nobelpreis, würde Grass aber weit lieber einen „Preis für Selbstgerechtigkeit, Wehleidigkeit und Verkennung der Realität“ verleihen. Ernst Kahl bietet einen Schnellkurs in fünf Bildern: „Zeichnen wie Günter Grass in Kalkutta“. Usw.

Das alles liest sich souverän und unterhaltsam. Und doch: Gänzlich ungetrübt ist das Vergnügen nicht. Die Überraschungsdichte ist gering. Ein bisschen mehr Reibungsfläche braucht die polemische Laune wohl doch, um sich in wirklich freudig boshafte Höhen zu heben. Ein bisschen mehr als die typisch Grass’sche Mixtur von Mittelmäßigkeit, Selbstgefälligkeit, Sozialdemokratie und Gutdeutschtum. Anhaben kann ihm ohnehin keiner etwas. So schwierig es ist, Menschen ausfindig zu machen, die zugeben, Grass zu schätzen (Deutschlehrer einmal ausgenommen – auch dazu findet sich ein Text in dem Büchlein), so unbeirrbar sitzt er auf seinem Dichterthron. Unempfindlich für alles, das Erkenntnis heißen könnte. Dagegen war er stets gefeit.

Was ihn so stabil macht? Nun, das Psychogramm des Herrn Grass ist noch nicht in allen Details gezeichnet. Für den Moment kann man es vielleicht so zusammenfassen: Es ist die fatale Mischung von „Wirtschaftswunder-Goethe“ und „Kulturbetriebsintrigant“. Oder anders: die Schule der Nachkriegsliteratur. Schreiben konnte damals praktisch niemand. Wer es konnte (im Wesentlichen die Emigranten), wurde ferngehalten.

Worauf sich die jungen und nicht mehr ganz so jungen Schreiberlinge nach 1945 dagegen sehr wohl verstanden: Interessenpolitik betreiben, Intrigen spinnen und sich einfach unglaublich wichtig machen. Die Gruppe 47, die dieses Jahr ihren Sechzigsten feiern könnte, war die Verbindung dieser Mentalität mit deutscher Vereinspolitik. Und Grass wiederum ihre Zentralgestalt. Natürlich vor allem in der traurigen Albernheit, sich für einen „politischen Intellektuellen“ zu halten. Darauf ist er stolz. Und Elke Heidenreich nimmt es ihm übel. Es ist zweifellos genug Platz für mehrerlei Stumpfsinn auf diesem Planeten. In diesem Sinne also: Herzlichen Glückwunsch!

 

Klaus Bittermann (Hg.): Literatur als Qual und Gequalle. Über den Kulturbetriebsintriganten Günter Grass. Edition Tiamat 2007, 128 Seiten, 12 Euro