30. September 2007

Trickfilm in Kunst

 

Der zeichnerisch-handwerklich versierte Trickfilm ist in der bildenden Kunst schon seit einiger Zeit wieder präsent, statt der technoid-verführerischen Bildwelten etwa eines Chris Cunningham oder Pierre Huyghe & Philippe Parrenos „AnnLee“ erobern die Werke von William Kentridge, Nathalie Djurberg oder auch David Shrigley das quasi selbstgemachte, also – zumindest dem Schein nach – nicht computergenerierte, analoge Bild zurück. Der je eigene Reiz von Kohlestiftschraffuren, Scherenschnitten, arrangierten Plastilinklumpen oder auch ganz lapidar anmutenden Filzstiftlinien wird noch gesteigert durch das zumeist so selbstbezügliche Zurschaustellen des nicht notwendigerweise an der sogenannten Wirklichkeit orientierten visuellen Paralleluniversums – fernab einer Second-Life-Ästhetik.

 

Symptomatisch für dieses wachsende Naheverhältnis ist der Umstand, dass die kataloggleiche DVD-Publikation der durchaus vielseitigen Londoner Bestandsaufnahme „Momentary Momentum“ die bereits etablierten bzw. renommierteren Positionen der Schau schlicht nicht der breiten Distribution zur Verfügung stellt – rechtliche Gründe, keine Frage. Und so sind die Beiträge von Francis Alÿs, William Kentridge, Robin Rhode, David Shrigley oder auch Kara Walker nicht mit dabei, lediglich der Vollständigkeit halber textlich erwähnt. Dem nicht genug, sind einige der längeren Arbeiten bloß als „Synopsis“ zu sehen, was den teaser-Effekt leider ins Leere laufen lässt. Ärgerlich einerseits, andererseits – wir wollen Milde walten lassen – kann auf diese Weise den übrigen und weniger prominenten Werken mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden.

 

Am Beginn steht Robert Breer, alles andere als ein Unbekannter, vielmehr einer der Pioniere des Nachkriegsanimationsfilms, jedoch eher vom experimentellen Kino kommend. Seine kurze, zahm blasphemische Collagearbeit „Un Miracle“ aus dem Jahre 1954 demonstriert gleichsam seine Vorreiterschaft in dieser Reihe; der Witz, die Lust an der kruden, wiewohl zaubertrickreichen Mechanik des stop motion in Monty-Phython-Manier stehen jedenfalls der Wirkkraft der aktuelleren Werke um nichts nach – das ist alsdann die schöne, durchaus pauschale Beobachtung, die man bei dieser Kompilation machen kann: Aufgrund der mitunter anachronistisch wirkenden Techniken und Bildresultate bewahren sich diese zeichnerisch-filmischen Kleinode ihre Zeitlosigkeit.

 

Einen humorvollen Kommentar zur evolutionären Historiografie liefert Arthur de Pins mit „La Révolution des Crabes“ (2004), einem äußerst kurzweiligen Portrait der Spezies Pachygrapsus Marmoratus, zu Deutsch Felsenkrabbe, die, so heißt es, ein tragisches Dasein fristet, weil sie dazu verdammt ist, sich lediglich auf ein und derselben Gerade hin und her zu bewegen. Die Dynamik dieser monochrom gehaltenen Geschichte ergibt sich – abgesehen von dem temporeichen Erzählduktus, dem charmanten Stimmrepertoire sowie der fröhlichen Begleitmusik – meistens durch überraschende Perspektivwechsel, schnelle Zooms und Schwenks, während die vergleichsweise einfach gefassten Figuren gerade vermittels dieser Reduktion so rührend wirken: Es sind (auch zeichnerisch) ganz simple Geschöpfe, die hier ihre kollektive Depressivität besiegen. In Jochen Kuhns „Sonntag 1“ (2005) hingegen meint einfach eher einfältig, das Gewöhnliche, die traurige, bedrückende Alltäglichkeit sind es, die den Ich-Erzähler lamentieren machen. Völlig vereinzelt flaniert der Protagonist durch eine düstere, menschenleere Großstadt, die sich in derartiger Geometrisierung aufzulösen scheint, dass es angesichts derart unterkühlter, asphaltergrauter Architekturen modernistischer Prägung fast schon zum Gruseln ist.

 

Ein wie fotorealistisch angedeutetes Schwarzweißszenario verbirgt sich in „Backyard“ (2005) von Avish Khebrehzadeh hinter dem knittrigen Papier, das – einer Doppelbelichtung gleichend – wie ein Schleier darüber gelegt ist und auf das traumhaft kryptische Geschehen projiziert wird. Die Figuren verharren in dieser abstrakten Flächigkeit, werden nur grob umrissen durch die Graphitzeichnung, bleiben (sowohl die Gestaltung als auch die Möglichkeiten einer Identifikation betreffend) leer und sind gefangen in ihrer monotonen Motorik; surreal schwebt ein riesiger Fisch durch die Luft und emotionsschwangere Chelloklänge unterstreichen diese schwere Stimmung. Ähnlich irritierend wirkt Christine Rebets „Brand Band News“ (2005), ihre zittrig flackernden, aquarellierten, an Beavis & Butthead gemahnenden Gestalten sind allemal bizarr: Zwillingsschwestern im Synchronablauf, ein tricksender Cowboy, ein fortan dahingaloppierendes Pferd; sie alle werden begleitet von auslaufenden Farbspuren und -klecksen sowie dem repetitiven, wie auf Schallplatte laufenden, gerne mal hängenbleibenden Soundtrack – digital ist hier definitiv nicht besser.

 

Während andere Beiträge wie etwa Qubo Gas’ computergenerierten, interaktiven und mit elektronisch-sphärischen Klängen unterlegten Videoanimation „Shimmy Shimmy Grass“ (2003-2004) oder Takashi Ishidas „Ema/Emaki“ (2006), einer grafischen Komposition, deren Linienstränge sich gewebeartig nach oben pflanzen, gleichsam emporwachsen, um sich schließlich zu überlagern und zu verdichten, während also diese doch stark im Formalen verhafteten Arbeiten eine vergleichsweise hermetische Wirkung haben, so entfachen gerade die in ihrer Erzählweise so zurückgenommenen, wiewohl anspielungsreichen Miniaturen, die letztlich mehr in der Beschreibung gewisser (Bewegungs-)Abläufe schwelgen als nach ausufernder Epik trachten, unsere Fantasie, indem sie so originäre Szenarien vorgeben und uns dabei dennoch Freiräume lassen.

 

„Viele Trickfilme sind ja auch tatsächlich handlungsarme Serien von Verwandlungen, die ohne viel Verbindung und bestimmt ohne Charakterisierungen aneinandergereiht sind. (...) Die „Story“ bietet hier nur den Rahmen für eine Demonstration der magischen Möglichkeiten des Kinos“, meint Tom Gunning und spricht von frühen, eigentlich filmischen Beispielen wie etwa den großartigen Zauberstücken von Georges Méliès. Denn gerade am Beginn der Entwicklung, ja der Entstehung des Kinos spielte im Zuge diverser, primär auf das Moment der exhibitionistischen, spektakelverliebten Attraktion ausgerichteter Experimente mit dem neuen Medium auch der animierte, manipulierte Film eine nicht unwesentliche Rolle; schließlich erblickte dieses das Licht der Welt mitten im Jahrmarktsgetummel. Und bietet es sich da nicht geradezu an, jenes Milieu mit dem oft so marktschreierischen, quirligen und für jede neue Sensation so dankbaren Kunstbetrieb zu vergleichen?

 

Naoko Kaltschmidt

 

Ziba de Weck Ardalan (Hg.): Momentary Momentum: Animated Drawings, Parasol unit, London, JRP | Ringier, Multizone DVD, 103 Min. inkl. Booklet, 25 €