31. Mai 2007

Stil als Aussage

 

Angesichts der politischen Torheiten zahlreicher Künstler und Schriftsteller im 20. Jahrhundert ist man geneigt, auf die scheinbar idiotensicheren Funktionsklammern der platonischen Dialoge zurückzugreifen: dass ein Schmied sich gut mit Eisen auskennen sollte, ist ja durchaus einsichtig, aber bei etwas komplexeren Themen wie eben Politik scheint es fatal zu sein, sie nur den berufsmäßig damit Befassten zu überlassen. Spezialistentum und Allbereichszuständigkeit laufen heuten parallel. Das ist meist nicht sehr lustig. Aber es gibt momentan keine Alternative dazu. Das Selbst- und Sendungsbewusstsein vieler Künstler und Schriftsteller in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat schon längere Zeit etwas Rührendes. Das Bescheidwissen, sei es auf der linken oder auf der rechten Spur. Auch der französische Schriftsteller Louis-Ferdinand Céline hat eine Zeitlang fleißig mitgemischt. Aber dem Céline-Bewunderer Philippe Sollers geht es in diesem 20-seitigen Aufsatz nicht um die Strategie des Antisemiten Céline. Sollers geht es hier wie auch sonst um die Literatur, genauer: um den Prozess, den Literatur dem Rest der Welt (einschließlich der als überflüssig erachteten anderen Literatur) macht. Und doch hat Célines „Strategie“ etwas mit seiner Vergangenheit als politischer Autor zu tun. Céline gehört zu den Autoren, die eifersüchtig auf ihr „Alleinstellungsmerkmal“ achten, das sie sich erkämpf haben. Es ist sein „Stil“, auf den er so stolz ist und von dem er glaubt, dass er eigentlich den Rest der Literatur überflüssig gemacht hat. Céline ist also nicht sehr bescheiden. Niemand wird ihn in dieser Hinsicht mit Robert Walser verwechseln, der auch einen sehr eigenen Stil pflegte. Célines Stil, das ist, so der Autor, die Einführung der Emotion in die Literatur, das Hörbarmachen von Musik, das Spüren eines unverwechselbaren Rhythmus. Die Literatur sei célinesk, oder sie ist nicht, so könnte man seine Forderung auf den Punkt bringen. Céline versteht sich als der große Verlebendiger der französischen Sprache im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts. Er hat dem Volk aufs Maul geschaut (als Arzt hatte er Gelegenheit dazu), er hat gewissermaßen Mallarmé auf den Kopf gestellt und die Sprache wieder mit Leben aufgepumpt. Dass er dabei nicht hinter Mallarmé auf Zola zurückgefallen ist, ist sein „Zeichen“. Aber noch einmal: Um welche Strategie geht es Sollers? Er erinnert daran, dass Céline 1932 gleich zweimal „gedemütigt“ wurde: Einmal, als sich der Gallimard-Verlag nicht entschieden für die Publikation der „Reise ans Ende der Nacht“ stark machte; zum anderen, als Céline nicht den ersehnten und zu erwartenden „Goncourt“ für diesen Roman erhielt. 1936 fiel Célines zweiter Roman, „Tod auf Kredit“, bei der Kritik völlig durch. Das literarische Establishment schätzte diesen Autor nicht, und dieser nahm ihm das sehr übel. Klassischer Fall, dass sich jemand nicht richtig gewürdigt fand. Sollers macht aus dieser unerfreulichen Situation die nicht weniger klassische Beziehung einer-gegen-alle. Céline und seine „Erfindung“, sein famoser Stil, gegen den Rest der Welt. Hätte diese Hypostasierung von Sprache vermieden werden können? Hätte Célines Schicksal in normalere Bahnen gelenkt werden können, wenn die „Reise“ gleich zu Anfang unter Dach und Fach gekommen wäre? Möglich, meint Sollers. Aber so ist es eben nicht gekommen. Auch wenn das Wort bei Sollers nicht fällt, muss man in Célines Fall wohl von Ressentiment sprechen. Ein tödlich Beleidigter, der zurückschlägt, der bald um sich schlägt und große Dummheiten fabriziert. Die einzige „Sünde“, zu der er sich später bekennen wird, ist, dem Pazifismus der „hitlériens“ Glauben geschenkt zu haben. Er stand nicht im Sold Hitlers (so der Vorwurf Sartres). Aber Abbitte ist Célines Sache nicht. Er argumentiert nicht. Er lässt sich auf keinen herrschaftsfreien Dialog ein. Er will ja Herrschaft ausüben, und natürlich auch darüber, wie er gesehen werden will. Die Strategie Célines liegt im Lächerlichmachen seines Gegenübers. Während er durchaus ironisch gegenüber sich selbst sein kann, fährt er stärkeres (rhetorisches) Geschütz auf bei der „Behandlung“ der Komparsen in der jeweiligen Situation. Der Marionetten, Spießgesellen, Düpierten, all derer, denen übel mitgespielt wird, und das sind zuletzt eigentlich alle. Derjenige aber, der das alles so wunderbar aufzuzeichnen versteht, ist natürlich fein raus. Aber auch, wenn er mitten im politischen Schlamassel drinsteckt? Eben das sei seine Strategie, so Sollers, die Stilisierung des Stils als eigentlicher Aussage der Texte. Man müsste blind sein, wollte man sich Célines Procedere zu eigen machen. Sein „Lachen“ ist nicht notwendigerweise unser Lachen. Nur er kann diese fürchterliche Position einnehmen. Er ist zu diesem strategischen Spiel verdammt, weil er das Spiel der Verdammnis spielt. Mag sein, dass er diesen Stil „erfunden“ und populär gemacht hat, nicht weniger gilt, dass er unter der Botmäßigkeit dieses Stils stand, denn welcher Teufel ritt ihn nur, seine Pamphlete gleichermaßen zu literarisieren und ihnen den Stempel der stilistischen Perfektion aufzudrücken. „Der Stil, das ist der Mensch selbst“, so ein Bonmot des Grafen de Buffon. Es ist auch eines Possenreißers würdig, eines „bouffon“, der sich als letzter Mensch geriert.

 

Dieter Wenk (04.07)

 

Philippe Sollers, Stratégie de Céline, in : Sollers, La guerre du goût, Paris 1994, 151-171