21. Mai 2007

Komplexitätsreduzierte Begeisterung

 

Anthologien sind so eine Sache. Bildbände mit Anthologiecharakter haben die fatale Neigung, an einen unverbindlichen Diavortragsabend bei entfernten Bekannten zu erinnern. Der im Taschen Verlag erschienene Wälzer über Berlin ist so ein Bildband. Mit gespitztem Mündchen ließe sich auch von einem Coffeetable-Produkt sprechen, es ist ein mindestens 4 Kilo schwerer, 6 cm dicker Klops, der sich einem Porträt der derzeitigen Bundeshauptstadt widmet, indem die Historie der Stadt rund 150 Jahre zurück in die Geschichte zurückverfolgt wird, etwa so weit eben, wie sich fotografisches Material aufstöbern lässt.

 

280 Fotografen kommen so zusammen, darunter Henri Cartier-Bresson, Helmut Newton, René Burri, Robert Capa, Thomas Struth und Wolfgang Tillmans sowie Friedrich Seidenstücker und Erich Salomon. Zusätzlich aufgemotzt und abgefedert werden diese zum Teil auch schon sattsam bekannten Fotos mit dreisprachig übertragenen Zitaten von Berlinern und selbst ernannten Berlin-Kennern wie Marlene Dietrich, Max Schmeling, Willy Brandt, Helmut Newton, Simon Rattle, David Bowie und vielen anderen. Gemeinsam mit den Fotos vermittelt der Band so das typische Schreihalsgebaren, was man von Berlin kennt: Es muss im Leben mehr als alles geben, und wir lassen natürlich jeden über uns reden, egal was er sagt, Hauptsache er ist berühmt genug, um Werbung für uns zu machen.

 

Und da ist man dann auch wieder bei der Unverbindlichkeit, die einen zwar sanft, aber eben auch nachlässig und unkonzentriert umfängt, während man in den Seiten blättert, egal was es ist: Osten, Westen, vor Krieg, Nachkrieg, Schwarzmarkt, Nachtleben, Mode oder Straßenszenen, Hauptsache es sind Personen darauf zu sehen, die entweder besonders mondän oder besonders geschäftig irgendwelchen Tätigkeiten nachgehen, nebenbei hätte man die meisten dieser Personenfotos auch in Leipzig oder München, Kassel oder Stralsund machen können. Es ist ein riesiger flackernder Bilderbogen, dessen Motive aufgrund der unvermittelten Nachbarschaft aber an Bravour verlieren und den einen oder anderen weniger poetisch oder sonst wie berühmten Kommentar mit einem mehr sachdienlichen vertauscht gut vertrügen. Vielleicht ist der so entstehende Eindruck dem Gefühl nicht ganz unähnlich, dass einen befällt, wenn man versucht, eine Stadt wie Berlin für sich in Besitz zu nehmen, und man dabei immer Gefahr läuft, sich entweder zu verirren oder Händel mit den Ordnungskräften zu provozieren, oder einem einfällt, dringend noch einen neuen Koffer kaufen zu müssen, man also vom Hölzchen aufs Stöckchen kommt, und drehte man sich auch nur einmal auf dem eigenen Absatz. Es ist allerdings gewiss nicht so, dass der Foliant aus dem Hause Taschen „Berlin, Portrait einer Stadt“ die Verwirrung, die die Geschichte Berlins in einem umherstreunenden Berlintouristen erzeugt, mimetisch abzubilden sucht, dafür ähnelt der Band in Art und Weise, Ausführung und Gestaltung den bereits veröffentlichten Abertausenden von Bildbänden und Städteführen zu frappierend. Das Format Stadtporträtschinken, nicht unter 4 Kilo, möglichst großformatig, farbig etc., folgt einer Logik der Bildgläubigkeit, die aufgrund ihrer festen Verschränkung mit den Nachrichten- und Informationsorganen, so groß ist wie nie zuvor. Es geht um Geheimtipps für Millionen und versteckte Winkel für Reisebusladungen, sei es nun in einem Bildband zu Berlin oder Wien oder Venedig oder Prag – es ist ganz egal.

 

Wir messen die Welt mittlerweile mit der Ähnlichkeit, die sie zu den Bildern hat, nicht andersherum. Bei einer besonders prächtigen Sykline sagt man: Sieht aus wie fotografiert. Der Verlust der Welt wird mit der Intensität der Bilder von der Welt kompensiert. Das heißt, es gibt Bilder von Städten, die besser sind als jede echte Stadt. Wir verehren im Bild, alles, was wir in der Realität vermissen, deshalb liegen diese Wälzer aus dem Hause Taschen auch oft in der Diele oder im Flur, jedenfalls auf dem Weg nach draußen, als Barrieren oder Schwellenobjekt, um nicht von der Welt draußen so hart mitgenommen zu werden, oder um die Härte nicht von draußen in die Wohnung zu schleppen, es sind sozusagen Realitätsabstreifer.

 

Angesichts dieser Funktion, die solchen Bildbänden damit unterstellt ist, muss die arglose und gleichbleibend werbefreundliche, also tourismusfördernde Berlinaufbereitung, die nichts anderes ist als eine ausgewachsene Geschichtsklitterung, scharf kritisiert werden. Es fehlen Fotos, es fehlen auch Fotografen, es fehlen ganze Kapitel spezifischer Berlinhistorie, um einen auch nur ansatzweise differenzierten Eindruck zu ermöglichen. Es gibt zum Beispiel kein eigenes Kapitel zur Jüdischen Kultur, überhaupt keines zur Kultur und seinen Protagonisten, ein paar Abbildungen von strahlenden Revuemädchen erschöpfen das Thema bekanntlich nicht. Auch vertrügen die vorhandenen eingestreuten Textschnipsel eine präzisere Platzierung, denn es ist einigermaßen abgeschmackt, ein Zitat aus Erich Kästners „Emil und die Detektive“ von 1928 in einer Abfolge von Bildern aus Mitte der 1930er Jahren zu finden, also inmitten von Nazipropaganda für ein ach so weltoffenes, olympisch begeistertes Berlin. Auch ein Arno Schmidt, Schnipsel aus „Das steinerne Herz“ aus den 50er Jahren, in dem der Autor der Westpropaganda mit Dreipfundbroten aus Ostberlin das Maul zu stopfen sucht, stehen zu Fotos von Militärparaden der 60er Jahre in einem eher bizarren Zusammenhang. Durchgängig waltet eine verdächtig komplexitätsreduzierte Begeisterungsstimmung im ganzen Band. Es fehlen auch Bilder der jüngsten Zeit. Dort ist der Band mit Arbeiten von Künstlern wie Wolfgang Tillmanns bestückt, diese Fotokunst berichtet allerdings tatsächlich nichts von der Berlinhysterie, die seit geraumer Zeit unter Künstlern aller westlichen Industrienationen wütet, es gibt auch keine Fotos von Gentrification und Brautmodengeschäften für Schwangere und andere Petitessen mehr, die man in der Masse und der selbstbewussten Dickarschigkeit tatsächlich nur in Berlin findet. Der hastige sich ständig verstolpernde life style Berlins, der einen rühren kann in seinem penetranten Anerkennungsbedürfnis, wird mit keinem der aktuellen Fotos transportiert.

„Berlin, Portrait einer Stadt“ wird ein gern gekaufter Foliant träumender Rentner und verwirrter Berlintouristen werden. Das macht schon etwas, ist aber wahrscheinlich nicht zu ändern.

 

Nora Sdun

 

Hg. Adam, Dr. Hans Christian: Berlin, Hardcover, 25 x 34 cm, 672 Seiten, Taschen Verlag 2007

 

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