18. April 2007

Zwischenlage

 

Nicht wenige deutschsprachige Leser werden auf den Namen Chamforts durch die eine oder andere Nietzsche-Lektüre gestoßen sein. Der zu der Zeit noch nicht mit dem Hammer philosophierende Denker schätzte an dem Franzosen die Unabhängigkeit seines Charakters (was nicht ganz den Tatsachen entsprach) sowie die Geschliffenheit und Kälte seiner Sentenzen, die er in den ersten Pariser Salons wie aus dem Füllhorn zum Besten gab. Postum erschien eine kleine Auswahl aus dem umfangreichen Maximenwerk, dessen größter Teil als gestohlen gilt, unter dem etwas langweiligen Titel „Gedanken, Maximen, Anekdoten und Dialoge“, Chamforts eigener Arbeitstitel, „Produkte der perfektionierten Zivilisation“, fand leider meist keine Berücksichtigung bei den zahlreichen Wiederveröffentlichungen, und wenn, dann als Untertitel. Aber natürlich ist man mit Chamforts genialem Titel viel näher an seiner Zeit dran, der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, deren aristokratischen Schein zu vollenden er genauso mithalf wie er daran beteiligt war, eben jene Schicht gewaltsam abzutragen. Chamfort – den Namen legte er sich erst später als „nom de guerre“ zu – wurde 1740 als Bankert geboren, seine Mutter entstammte dem Hochadel, sein Vater war leider nur ein Domherr. Als Sébastien Nicolas kam er nicht in den Genuss einer standesgemäßen, sprich adligen, Erziehung, aber seine Intelligenz verschaffte ihm früh Stipendien, und mit Verspätung einiger Jahre kam er in die Kreise der Gesellschaft, die er niemals ganz ohne Ressentiment betreten wird. Er ist klug, er gilt als schön, aber er ist mit einem kleinen, entscheidenden Makel versehen. Die Frage nach der Herkunft wird ihm oft seine intellektuelle Souveränität trüben. Er beginnt zu schreiben, sein Theatererstling hat Erfolg, aber schon beginnt man ihm sein Glück madig zu machen, manche sprechen von geistigem Diebstahl. Aber das ist ein Zug der Zeit, der Klassizismus Racines liegt immer noch schwer über der Literaturproduktion und verlangt ein Schreiben, das von der eigenen Zeit ebenso weit entfernt ist wie von der subjektiven Wende des Schriftstellers, die doch mit Autoren wie Beaumarchais unmittelbar bevorsteht. Chamfort, der sich bereits mit 25 von den Frauen zurückzuziehen beginnt – eine venerische Erkrankung entstellt sein Äußeres – lässt nach dem Misserfolg seines zweiten Theaterstücks, einer Tragödie, auch auf diesem Gebiet seine Talente brachliegen. Er nimmt sich vor, nie mehr in Literatur zu machen. Sein nächster Ehrgeiz besteht darin, in die Akademie, diesen Ort der 40 „Unsterblichen“, gewählt zu werden, was ihm auch nach einigem Anlauf 1781 gelingt. Chamfort hält es nirgendwo lange aus, mal ist es die Hohlheit und Oberflächlichkeit der Salons, die ihn aus Paris vertreiben, dann wieder ödet ihn die Provinz an, da sie ihm die soziale Anerkennung nicht zu geben vermag, die er braucht. Er wettert gegen die Vorrechte des Adels, und genießt es doch auch, an dessen Annehmlichkeiten zu partizipieren. Er hat Feinde, die ihn sein Leben lang begleiten, er hat aber auch Freunde, die immer zu ihm stehen wie etwa der Graf Mirabeau, dessen ausschweifendes Leben ihn nicht daran hinderte, einer der entscheidenden Beförderer der Französischen Revolution zu werden, was nicht ausschloss, dass er bis zu seinem frühen Tod 1790 Royalist blieb. Die Revolution gibt Chamfort Gelegenheit, seinem Ressentiment Ausdruck zu verleihen und erblich erschlichene Privilegien anzuprangern. Zeitweilig gehört er zum radikalen Flügel der blutigen Revolution. Aber auch in dieser Zeit bleibt er das, was man mit dem modernen Begriff des „Katangesen“ bezeichnen könnte, also eine Person, deren Rolle im Spiel der sozialen und politischen Kräfte nicht klar auszumachen ist. Das wird ihm schließlich zum Verhängnis. Einmal inhaftiert, schwört er sich, kein zweites Mal ein französisches Gefängnis von innen mehr sehen zu wollen. Als er erfährt, dass man ihn erneut verhaften will, versucht er sich umzubringen, was auf beinah groteske Art misslingt. Ein paar Monate später stirbt dieser Mann, dem man direkt nach seinem Tod einen Großteil seiner Manuskripte stehlen wird. Bis heute weiß man nichts über den oder die Täter, die Manuskripte wurden nie zurückgegeben oder unter anderem Namen veröffentlicht. Claude Arnaud legt in seiner Biografie allerdings mehr Wert auf die Person als auf den Autor Chamfort. Er preist weniger den Aphoristiker und Sentenzenschmied, als ihn das Geschick eines Menschen fasziniert, dessen geistiges Talent nicht dazu ausreichte, von den Leuten anerkannt zu werden, die ihren gesellschaftlichen Status allein ihrer Herkunft verdankten. Aber vermutlich muss man in Frankreich nicht sonderlich den Stilisten Chamfort preisen, der für so unterschiedliche Autoren wie Nietzsche, Céline, Camus und Cioran vorbildhaft war.

 

Dieter Wenk (03.07)

 

Claude Arnaud, Chamfort. Die Frauen, der Adel und die Revolution, aus dem Französischen von Ulrich Kunzmann, Berlin 2007 (Matthes & Seitz Berlin), 528 Seiten, € 39,80

 

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