22. März 2007

Kunst und Tölpel

 

Das Leben ist romantisch, weil alles bloß ein Anlass für einen Fick ist. Die Unermesslichkeit der Wirklichkeit, ihre gute und schlechte Unendlichkeit, die Zyklen des Tages, des Jahres, ja, des ganzen Lebens sind nur natürlich-geometrische Ausdrucksformen der ständigen Begleitung und der Mitte einer Welt als und aus Phallus und Loch. Derjenige, der mal sagte, dass alles, was Begegnungen ermögliche, Ermutigung verdiene, war schon zu sehr Zyniker, als dass er diesen Imperativ als pädagogischen Rat empfohlen wissen wollte. Spätestens seitdem ist klar, was es heißt, wenn Leute zu unkriegerischen Begegnungen zusammenkommen. Die 20er Jahre des 20. Jahrhunderts, belle époque nicht nur in Paris, vermutlich ein nicht zu wiederholender Höhepunkt. Aber muss man deshalb gleich von Dekadenz oder sogar von Dekadenzen sprechen, wie Feridun Zaimoglu das macht? Sogar von infernalischen. Dabei kommt einem das doch ziemlich bekannt vor, was da auf den Eingangsseiten beschrieben wird, nichts anderes nämlich als die wie oft schon durchexerzierten Provokationsspiele gehypter Künstler vor einem als bescheuert unterstellten Premierenpublikum. Es ist ziemlich unmöglich, da noch satirisches Erkenntnis- und Belustigungspotenzial herauszuziehen. Die Überbietung ist gegessen. Das Ritual als solches ist mittlerweile heilig. Das heißt nichts anderes, als dass es funktioniert und es bis auf weiteres keinen Anlass und keine Möglichkeit gibt, da reinzufunken, um etwas kaputt zu machen. Diese Spiele sind also längst integriert. Aber was macht Zaimoglu? Er macht weiter auf der Überbietungsschiene als Überholspur im literarischen Nischendiskurs. Krassheit ist die Kategorie, mit der er arbeitet, Krassheit des Objekts (was Menschen einschließt) und die Sintflut des Worts. Give me your dirty love, ja ja, wir kriegen sie. Inszeniert wird sie in verschiedenen Varianten von Über- und Untermenschen. Die Übermenschen leben im Westen, auch wenn sie nicht unbedingt aus dem Westen kommen, die Untermenschen sind aus dem Osten, auch wenn sie zum Westen zählen. Dies ist also auch eine kleine Geschichte zur gescheiterten Wiedervereinigung. Die Übermenschen erkennt man an ihrer Fähigkeit zur Artikulation und zur Beweglichkeit. Nach dem Ende der Kunst machen sie ihr Leben zur Kunst, auch wenn zugegebenermaßen der Markt leicht dirigierend den Ablauf bestimmt. Der Übermensch, wo immer er auch agiert, versteht es, genau diesen Mechanismus mehr oder weniger zu verdecken. Der Künstler kommt zur Tür herein, und es wird nicht als re-entry bemerkt, sondern als selbstgemachter entry. „German Amok“ funktioniert genauso. Der Icherzähler stellt uns den Kunstbetrieb vor, ist Teil davon, kritisiert ihn, profitiert davon, dann werden die privaten Türen aufgemacht, man sieht die Verlierer der Welt, über die man lacht, wir schauen in die multikulturelle Welt und stellen fest, dass auch Multikulti von der Hand zum Schwanz lebt, wir machen eine kleine Reise in den deutschen Osten und bemerken die hundsgemeine Übermacht der Geschichte in Form der schlimmen 70er-Jahre-Hippie-Zeit als kurzzeitig dahingepflanzte Künstlerwahnsinnswelt. Dieses Buch ist so unglaublich zoomäßig. Jedes neu präsentierte Tierchen will auch nur ficken, und der Autor hat keine Mühe gescheut, diesen Permanent-Situationismus im endlosen Wortschleim transparent zu machen. Tja, wenn das die Wahrheit über die Romantik ist – und hier treffen sich nicht ganz unzufällig Novalis und Carl Schmitt, mit jeweils anderem Vorzeichen – und wir als Nachgeborene und Dekadente endlos zu kreisen scheinen über einer bestimmten Formation, der wir nicht entrinnen, dann ist mal wieder Zeit für einen Anstoß von außen, der aufmischt und zu neuen Anlässen aufruft. Wie wäre es mit American Amok.

 

Dieter Wenk (03.03)

 

Feridun Zaimoglu, German Amok. Roman, Köln 2002 (Kiepenheuer & Witsch)