20. März 2007

Ein bisschen Frieden

 

Warum heißen Antikriegsfilme nicht pazifistische Filme? Oder auch Kriegsfilme? Wenn ja vor allem Krieg gezeigt wird? Schafft, wer die Grausamkeit des Kriegs zeigt, den Krieg ab? Nein. Oder vielleicht ist der Krieg absurd? Das ist das Leben auch. Und grausam noch dazu. Vielleicht nicht ganz so grausam wie der Krieg, aber dafür noch etwas absurder. Es gibt so geil ausschauendes Kriegsgerät, Zerstörer, Flugzeugträger, F-16- und Tarnkappenbomber, aber auch schon MG oder Pistolen. Es gibt faszinierende, in Kriegsfilme eingebaute Archivaufnahmen von Kampfhandlungen, wo einfach alles stimmt, das körnige Material, dieses seltsame Blau des Pazifik (haha), Fluglärm, abgefeuerte Raketen, deren Flugbahn man bis zum Einschlag verfolgen kann, senkrecht abstürzende Flieger, und all das in perfekten cineastischen Schnitten. Filme also wie andere auch, nur eben noch spannender, härter, und neben der Maschinerie sind dann noch diese Menschen da, die entscheiden, befehlen, gehorchen, töten und getötet werden. Diese soldatischen Menschen sind schon in ganz bestimmten Situationen drin, im Stellungskrieg, im Flugzeug mit der Atombombe, im Hinterhalt. Vielleicht gibt es zu den Bildern einen akustischen Vorspann, eine Situierung, eine Abgrenzung, ein moralisches Urteil. Das sichert den Zuschauer ab, dass er sich das anschauen kann, ohne bloß Voyeur zu sein. In diesem Film geschieht das auch, man schreibt das Jahr 1916, deutsch-französischer Stellungskrieg, aber sofort fangen die anderen Entscheidungen an, die nicht problematisiert werden. Die des Regisseurs, sich auf die Seite der Franzosen zu begeben, nicht als parti-pris, sondern um dort gewissen kriegsalltäglichen Folgen generalstabsmäßiger Direktiven nachzugehen. Man könnte sagen, Kubrick hätte auch die deutsche Seite wählen können, Jacke wie Hose, aber immerhin war der Film jahrelang in Frankreich verboten und nicht in Deutschland. Wie kommt überhaupt so ein Amerikaner dazu, sich da einzumischen, zumal, wenn es um die Ächtung des Krieges als solchem gegangen wäre, auch der amerikanische Bürgerkrieg hätte herhalten können. Oder etwa nicht? Wie auch immer, der Prolog des Films ergeht sich nicht in pazifistischen Parolen, geht auch nicht ein auf den Wahnsinn von Kriegen tout court. Der Film hat Spezielleres im Blick. Wenn auch das wiederum sehr hoch aufgehängt wird, da der Zuschauer schnell merkt, dass Entscheidungen Einzelner von Prozessen und Konstellationen abhängen, die er durchschauen, aber dadurch nicht schon zu ändern vermag. Es geht um gesellschaftlich anhängige Rechtfertigungen, deren Realitätsgehalt man nicht unbedingt auf einer Waage abmessen muss. Das sind Erwartungen an Regierungen und Armeen, und irgendwann, gerade in Stellungskriegen, muss da halt mal was passieren. Je weiter ein Befehl dann von der Kartografie in die Wirklichkeit von Gefechtsständen eindringt, desto abenteuerlicher können sich dann ebendiese Befehle vor halb hohen Offiziersgraden ausnehmen. Aber da diese nicht lachen, auch nicht ironisieren können, müssen sie gehorchen, es sei denn, der Feind macht schlicht die Ausführung unmöglich. Wie auch hier. Der zunächst nicht nur skeptische, sondern klar ablehnende Blick des ersten Befehlsempfängers verkehrt sich schnell, nach ein paar Butterbroten seitens seines Vorgesetzten, in eine heroische Einschätzung eines Truppenteils, von der objektiv keine Rede sein kann. Aber egal, der Befehl, eine deutsche Position zu erobern, geht durch und weiter an den edlen Korporal Kirk Douglas, der seinen Vorgesetzten klug, leider aber als Befehlsempfänger vergeblich, zusetzt. Aber dafür ist ja der Zuschauer da, dass er diese Botschaften eines endlich doch das ganze Spiel durchschauenden ehrlichen Soldaten erhält. Zugegeben, es läuft viel falsch in diesen Situationen, die Feigheit wechselt die Plätze einfach deshalb, weil sie den höheren Rang hat und die Tapferkeit sowohl in den Tod schickt als auch mit Repressalien bedroht. Die hohen Offiziere sind weit vom Gefechtstreiben entfernt und können um so unbedenklicher die aberwitzigsten Befehle geben, die sie später immer noch dementieren können, wird man ihnen doch mehr glauben als einem einfachen protokollschreibenden Kanonier. Die gescheiterte Eroberung des Höhenzugs der französischen Einheit wird also als Feigheit vor dem Feind ausgelegt, der Zuschauer weiß es besser, die Deutschen waren wirklich stärker. Das Kriegsgericht wird einberufen, und am liebsten würde man sich als Zuschauer sofort an die Stelle von Kirk Douglas werfen, um ihn noch zu überbieten, weil das ja ganz und gar unerträglich ist, was da bei diesem Kriegsgericht abgeht. Kleine Zwischenrachen von Kirk Douglas lindern die Gesamtkatastrophe, zum Beispiel die Abkommandierung des wirklich feigen Korporals zum Leiter des Exekutionskommandos, wo er seinen eigenen Freund erschießen darf. Am Ende die läuternde Gesangsstunde eines gefangenen deutschen Mädels. Ja, Friede könnte so einfach sein, oder? Aber schließlich muss die Kompanie wieder an die Front. Und die Frage stellt sich: Bis an welche Stelle rechnen Filme wie „Wege zum Ruhm“ die Vermeidbarkeit hoch, und in welchen Rahmen stellen sie die Vermeidbarkeit – von Kriegen überhaupt. Hier wird viel gezeigt, was falsch gelaufen ist, aber man hätte sich einen Krieg mit Leuten wie Kirk Douglas vorstellen können, und dann wäre alles in Ordnung, es gäbe einen Feind, es gäbe Regeln, ihn zu bekämpfen, Abweichungen würden sofort angeprangert, aber das wäre eben nicht mehr nötig, aufgrund der charakterlichen Klasse solcher Leute. Aber dann wäre auch der Krieg nicht länger nötig? Diese Frage stellt der Film nicht und auch kein anderer. Es geht um Linderungen, und genau deshalb haben die tapferen Zuschauer auch Recht gehabt, die so lange gewartet haben, bis dann eben doch noch eine Frau auf der Leinwand erscheint, und dieses Mädchen verkörperte beide Pole in ein und demselben Körper, unzertrennlich, das Begehren nach ihm und den gleichzeitigen Verlust, die Gewalt und die Trauer. Das war das einzige deutsche Wesen, das man hier gesehen hat, der Gesang der Frau, die Geschosse der unsichtbaren Männer. Im so genannten Frieden ist es genau umgekehrt, man sieht die Männer, aber nicht, mit was sie schießen. Seltsame Diskretionen.

 

Dieter Wenk (03.03)

 

Stanley Kubrick, Paths of Glory (Wege zum Ruhm), USA 1958, Kirk Douglas