12. März 2007

Die Tücke des Manierismus

 

Die Braunschweiger beraten zurzeit darüber, ob man Hitler posthum die deutsche Staatsbürgerschaft entziehen sollte, die er hier 1932 erhielt. Ungerührt von bizarrer Lokalpolitik und prachtvoll strahlt der Kunstverein, der wie ein Meteorit in der Stadt liegt. Man kann sich lebhaft vorstellen, welche Missverständnisse zwischen den Ansprüchen der künstlerischen Leitung und Braunschweiger Bürgern entstehen. Hinzu kommt noch der Umstand, dass das Kunstvereinsteam, großstädtische Arbeitszeiten gewohnt, Kopfschütteln und Verwunderung ausgesetzt ist, wenn nicht um halb acht mit der Arbeit begonnen wird. Der Thai-Imbiss schließt jedenfalls um 22.30 Uhr, und dann ist nur noch der Kunstverein geöffnet, jedenfalls bei Eröffnungen wie am Freitagabend. Das Haus ist voller Neugieriger. Es gilt herauszufinden, ob man den Schatten Karola Grässlins in der Arbeit der neuen Leiterin erkennen kann. Die Neue ist Janneke de Vries, und sie meistert die Situation souverän. An diesem Abend wird keine nachträgliche Palastrevolte inszeniert.

 

Weil man wenigstens so tun muss, als interessierte man sich für Kunst und nicht ausschließlich für intrigante Personenkonstellationen, schlendert man um die irgendwo zwischen dysfunktionalem Möbeldesign und Joseph Beuys zu ortenden Holzobjekte, der schottischen Künstlerin Claire Barclay herum. Die auf die Holzgerüste applizierten Materialien aus Messing, Leder, Fett und Stoffarrangements erinnern an Zubehör für Innendekorateure, Goldschmiedewerkstätten oder spiritistische Bestecke. Barclay bezieht sich ironisch auf die Stuckaturen in Decken und Holzverkleidungen und passt überaus geschmeidig in das klassizistische Gebäude des Kunstvereins. Anämisch, elegant und ungeheuer artifiziell sind diese geschickt mit Uneindeutigkeit kokettierenden Werke.

 

Auch der Berliner Tobias Buche, der im Obergeschoss ausstellt, neigt mit seinen Arrangements aus Bildschnipseln auf Stellwänden dem Gekünstelten zu, nicht ohne das zu leugnen. Es spricht von Humor, die Leihzettel der Staatsbibliothek mit zarten Ornamenten zu verzieren, und dabei gleichzeitig seine kuriose Lektüre zuzugeben – Klemperer und Bob Dylan. Manierismus ist so schön wie gefährlich. Nur Malte Urbschat, der für den Eröffnungsabend im Cuboid, dem „Kinderzimmer“ des Kunstvereins, die silbern blaue Girlande eines Autohauses und eine Papierserviette der Bundesbahn platzierte, setzt sich mit der entwaffnend ehrlichen Zugabe seiner Vorliebe für Flitter mit Leichtigkeit über die Tücke des Manierismus hinweg, der unerträglich ist, wenn es ernst und würdevoll wird.

 

Nora Sdun

 

10.03.07 – 13.05.07, Kunstverein Braunschweig e.V - Haus Salve Hospes, Lessingplatz 12, 38100 Braunschweig