11. Februar 2007

Sprachkritik für die Westentasche

 

„Zu den auffälligsten Merkmalen unserer Kultur gehört die Tatsache, daß es so viel Bullshit gibt“, beginnt der Sprachanalytiker Harry G. Frankfurt (Jahrgang 1929) seinen philosophischen Essay „Bullshit“. Erstmals 2005 bei Princeton University Press erschienen, liegt die kurze Abhandlung in der Übersetzung von Michael Bischoff 2006 bei Suhrkamp vor.

Das Buch – ein Schmuckstück von der Aufmachung her (kleines Format, dunkelroter Leinen) – bietet tief gehende Sprachkritik für die Westentasche all der Sprachjongleure, die den ganzen Tag reden, aber nichts sagen: Talkshow- und Radiomoderatoren, Manager, Werbeleute und so manche Politiker. „Bullshit“ – das ist ein an Wittgenstein geschultes, den Regeln analytischer Sprachphilosophie folgendes Werk über die in der Medienkultur allgegenwärtig gewordene Phrasendrescherei.

Wo könnte man Bullshit schneller finden als in der Wirtschaftssprache? Frankfurts Essay wird beispielsweise in dem Wirtschaftsbuch „Spurwechsel“ (Murmann Verlag, 2006) aufgegriffen. Die Herausgeber Walter Ch. Zimmerli und Stefan Wolf diagnostizieren, dass die Managementsprache von inhaltslosen Füllwörtern geprägt sei, wenn es etwa vollmundig heißt: „Wir machen unsere Kunden stark“ oder „Wir tragen gesellschaftliche Verantwortung“. Der Schriftsteller Adolf Muschg hält Bullshit sogar für „die progressive Universalpoesie der Betriebswirtschaft“. Diese berechtigte Kritik an Floskeln hält die Wertediskussion in Wirtschaft und Gesellschaft am Laufen, die Funktion von Bullshit erhellt sich damit aber noch nicht. Entgegen einer vorschnellen Rezeption gibt Harry G. Frankfurt vielmehr zu verstehen, dass hinter Bullshit mehr zu vermuten ist als nur floskelhaftes Reden.

„Jeder kennt Bullshit. Jeder trägt sein Scherflein dazu bei. Und doch neigen wir dazu, uns damit abzufinden.“ – Davon geht Frankfurt aus, und macht sich daran zu klären, „was Bullshit ist“. Dazu durchforstet er Wörterbücher, grenzt Bullshit von „Humbug“ oder „Lüge“ ab, bemüht eine Episode aus Wittgensteins Leben. Der Ton des Buches: sachlich, nüchtern, eben typisch für analytische Sprachphilosophie.

Frankfurt unterscheidet Bullshit von Information oder Mitteilung. Bullshit grenzt an Lüge, ist mit ihr aber nicht gleichzusetzen. Bullshit-Äußerungen geht es nicht darum, wahr (oder unwahr) zu sein – das ist ihnen gleichgültig. Bullshit kann als „heiße Luft“ verstanden werden, Reden ohne Substanz und Inhalt.

Mit dieser Bestimmung produziert Frankfurt freilich keinen Aufreger – jedenfalls nicht für den routinierten Medienkonsumenten. Nur der steht Bullshit-Äußerungen ratlos gegenüber, der glaubt, dass sprachliche Kommunikation wirklich das Ziel hätte, sich ernsthaft darüber zu verständigen, ob ein Satz wahr oder unwahr, richtig oder falsch, wahrhaftig oder gefälscht ist. Solche Ansprüche interessieren noch den Lügner (der weiß, dass er lügt), den Bullshitter hingegen lassen sie kalt. Er kümmert sich darum nicht, entledigt sich aller Regeln und fängt an, Sprache so einzusetzen, wie es ihm passt.

Etwas zähneknirschend mutet es an, wenn Frankfurt gesteht, dass dadurch ein „Raum für Improvisation, Farbe und Phantasie“ eröffnet wird. In diesem Feld spielen der Künstler, der Werber, die so genannten Symbolarbeiter ihr eigenes Spiel. Analytische Wissenschaft bleibt außen vor, weil sie strengen Gesetzen folgt und den Code dieses gesetzlosen Spiels nicht versteht. Und vielleicht stößt sie auch deshalb an ihre Grenzen, weil es ihr ein wenig an Humor mangelt. „Bullshit!“ – schon im Begriff schwingt der ganze Ärger mit.

Fragt sich aber doch, wie Bullshit entsteht. Frankfurt erwähnt zum einen, dass Bullshit „unvermeidbar“ wird, wenn „die Umstände Menschen dazu zwingen, über Dinge zu reden, von denen sie nichts verstehen“. Zum anderen wird Bullshit systematisch erarbeitet, von Werbe- und PR-Experten, also im Umfeld der Unternehmenskommunikation. Da Bullshit nah am „Bluffen“ und „Sich-durchmogeln“ liegt, vermutet Frankfurt ein Programm, Sprache strategisch so einzusetzen, wie es die Umstände gerade erfordern.

An dieser Stelle wird der Ansatz interessant, läuft er doch darauf hinaus, Bullshit als Ergebnis gesellschaftlichen Zwangs und kommunikativer Taktiken zu begreifen. Oder anders: Wo Bullshit vermutet wird, liegt ein manipulativer Einsatz von Sprache vor. Die gesellschaftliche Analyse dieser politischen und ökonomischen Felder des Handelns und Sprechens ist die Sache Frankfurts aber nicht. Der Leser muss sich mit der begrifflichen und formalen Analyse begnügen.

Wie Unternehmen im „mentalen Kapitalismus“ (Georg Franck) versuchen, komplexe Umwelten und Motivationen durch Kommunikationsprozesse zu steuern, sie zu „kodieren und dekodieren“ (Stuart Hall), und wie sie dabei eine „No-man’s-Sprache“ (Corinne Maier) als Werkzeug einsetzen, wäre genauer zu untersuchen. Der Bullshit-Begriff reicht dafür mit Sicherheit nicht aus.

 

Sönke Abeldt

 

Harry G. Frankfurt: Bullshit. Aus dem Amerikanischen von Michael Bischoff, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006, 73 Seiten, 8,- Euro

 

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