6. Februar 2007

Wie der Flamenco Geschichte schrieb

 

„Flamenco“. Ein schlichter Titel für ein Buch, das 150 Jahre Flamencogeschichte unterhaltsam und informativ zusammenfügt zu einem beeindruckenden Musikband. Ich glaube, dass künftig viele Male auf diese Arbeit verwiesen wird, sobald südländische Musik- wie Tanzgeschichte thematisiert werden.

Denn anders als andere Autoren, gelingt es Knipp, Jahrgang 1966, promovierter Romanist und freier Journalist in Köln, nicht bloß Fakten wie Geschichte fußnotenhaft zu datieren. Er ist fähig, das Buch zu einer Fundgrube fidelster Anekdoten, literarischer wie politischer Zitate zusammenzufügen, was es für das breite Publikum reizvoll macht. Das Buch ist ein Genuss für jeden, der sich für Musikgeschichte interessiert.

Eingesetzt mit frühen Anfängen Ende des 18. Jh., beschreibt Knipp nicht nur die Entwicklung des abseitigen, oft verbotenen Flamenco, hin zur touristischen Attraktion der Spanienreisenden Mitte des neuen 19. Jahrhunderts und dem heutigen Spanienbild. Er vergisst dabei nicht unterschwellig auf kuriose Missstände des modernen Tourismus, der lustvollen Geselligkeit, der vergänglichen Unterhaltung hinzuweisen. Knipp schreibt folglich nicht nur über Musik, sondern über Menschen, über die Sinti und Roma und besonders die Gitanos, die eigentlichen Erfinder des Flamenco, eine in Andalusien beheimatete Romagruppe. Das Buch ist daher nicht weniger als ein Abbild der spanischen Gesellschaft der letzten 150 Jahre. Von der feudalherrschaftlichen Ständeordnung über Napoleons Einfluss zu modernen und kontroversen Industriegesellschaft. Er verweist auf den Gesellschaftswandel und auf den Einfluss des Flamenco auf zahlreiche Nachkommen wie den kubanischen Rumba – und sogar den nordamerikanischen Blues. Die zahlreichen historischen wie politischen Verweise schmücken den roten Faden, der sich eingängig durch die Arbeit zieht, aus.

Und hier liegt meines Erachtens die einzige Schwäche der Lektüre. Moderne Sachliteratur soll bitte, angeregt durch moderne Essayisten wie Gabriele Klein oder Peter Sloterdijk, nicht nur informativ, sondern leserlich, unterhaltend, ja prosaisch sein. Worin auch der Mangel liegt oder liegen kann. Denn unterhaltende Fachliteratur lenkt ihrer Geschmeidigkeit gern von wichtigen Sachverhalten ab. Siehe Sloterdijk. Der Leser könnte zum einen wichtige Aspekte überlesen. Zum anderen verführt die Prosa den Autor zum Schriftstellertum. Der Autor beginnt eine Geschichte zu erzählen. Knipp verliert auf diese Weise an gewissen Stellen, um mich eines Bildes zu bemächtigen, die Zügel aus der Hand. Er driftet seitenweise in spanische Geschichte ab, nur um am Ende festzustellen, dass er sich doch wieder Musik besinnen muss. Die historische Ortung hilft dem Leser gewiss lokale Politik mit Musikgeschichte zu verknüpfen. Es erschafft Bilder wie Dimensionen, mittels derer eine historische menschenabhängige Entwicklung erst veranschaulicht werden kann. So sind die biografischen Einschübe außerordentlich belebend. So wird etymologisch aus Flämisch durch Karl V., einen Bourbonen aus Holland, immerhin spanischen Regenten Anfang des 19. Jh., argwöhnisch von den Spaniern seiner Andersartigkeit für sonderbar unspanisch gehalten, das Wort Flamenco, ein Synonym für Andersartigkeit. So werden für uns zahlreiche Flamenco-Statisten zu lebendigen Figuren, indem wir von ihren Ursprüngen, Krankheiten und Widrigkeiten lesen. Es belebt, es freut, es unterhält. Und doch könnte man einwenden, dass Knipp es mit politischen Schilderungen übertreibt. Aber ein schönes Buch für Musikinteressierte und Romanisten.

 

Rafael Wawer

 

Kersten Knipp, Flamenco, Suhrkamp Verlag, Dezember 2006, 244 S., 8,50 €