11. Januar 2007

Wellness-Oase

 

Wohltönender Unsinn, regalmeterlang. Kunstgeschichte als eine Historie anthropologischer Entwürfe ist voll gestopft mit Schlachtrufen: Ewigkeit! Unschuld! Authentizität! Mimesis! Ende der Kunst, Anfang des Weltgeistes. Ewig plätschern die Diskurse. Wolfgang Ullrich ist der Bademeister dieser geistesgeschichtlichen Wellness-Oase aka Bildende Kunst. Mit nüchternem Blick verfolgt er die dicke L’artpour l’art mit dem zu knappen Oberteil, die nun schon zum hundertsten Mal die kleinen, mageren Schreihälse aus der zerrütteten Familie »erweiterter Kunstbegriff« und »Kunstwollen« vom Beckenrand verdrängt. Ullrich ist unparteiisch, er kennt seine Pappenheimer. Visionen der Reinheit sind im Becken gestattet, saubere Fingernägel haben hinterher sogar die, welche ex negativo verfahren und alles Überflüssige weglassen wollen, um zu sehen, ob noch etwas übrig bleibt. Das Becken ist davon kein bisschen leerer geworden. Das Becken ist wasserdicht und hat keine Durchlässigkeit in andere Systeme. Kein anderes System konstituiert seine Relevanz so heftig über die Idee übergreifender Strukturen. Und kein anderes System ist derartig verblendet, was die Wirksamkeit der Bemühungen betrifft. Es interessiert nämlich niemanden.

Ein sehr schönes Bild des amerikanischen Malers Mark Tansey (1981) zeigt eine Milchkuh im Museum beim Betrachtendes Bildes »Der junge Bulle« von Paulus Potter. Es ist ein Test. Reagiert die Kuh auf den Bullen? Sechs Männer in Straßenanzügen erwarten gespannt das Ergebnis des »Innocent Eye Test«. Reagiert die Kuh weder auf Monets Heuhaufen noch auf Potters Jungbullen, dann verlangt die Kuh wohl nach synästhetischeren Ereignissen, reagiert sie doch, dann gibt es also das unschuldige Auge bei Kühen – tja. Bringt das die Forschung voran?

Wolfgang Ullrich berichtet derlei Kuriositäten mit freundlichironischer Anteilnahme. Mit seiner Hilfestellung gelangt man sicher durch die schäumenden Wogen der Kunsthistorie. Sogar dem Kopf-an-Kopf-Rennen des Apollinischen und des Dionysischen attestiert Ullrich lediglich das Prädikat »gemischtes Doppel«. Leidenschaftliche Kunstverehrung bildet man nach dieser Lektüre nicht heraus, wohl aber lässige Übersichtlichkeit mit Sand in der Badehose. Das ist viel wert in der Flut der Affirmationsschwelgerein, juckt aber unangenehm. Kunst ist nur so weit für die Gesellschaft interessant, als man an diesem System ein ausgeklügeltes Machwerk von gegenseitigen dithyrambischen Hagelschadenversicherungen ausmachen kann. Funktioniert die Hingabe nicht mehr, wird eben Tabula rasa gemacht, um danach der Wiederkunft der Hermeneutik zu frönen. Pack die Badehose ein!

 

Gustav Mechlenburg und Nora Sdun

Erstveröffentlichung: "Kultur & Gespenster" Nr. 1, Sommer 2006

 

Wolfgang Ullrich: Was war Kunst? Fischer Taschenbuch 2005, 281 Seiten, 13,90 €

 

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Wolfgang Ullrich: Bilder auf Weltreise. Eine Globalisierungskritik, Klaus Wagenbach 2006, 140 Seiten, 19,50 €

 

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