4. Januar 2007

Antizipationsprosa

 

Der Autor dieser sieben Erzählungen kommt aus Dänemark und lebt in Hamburg. Seine Texte haben allerdings keine Ähnlichkeit mit nordeuropäischen Genrewattkanten. Sie erinnern, wie der Verlag behauptet, an Raymond Carver. Nun ja, amerikanisch muten sie auf jeden Fall an. Man hat den Eindruck, in Amerika zu sein, auch wenn nur sehr selten Ortsangaben gemacht werden, die diesen Schluss zulassen. Es liegt an den „Drinks“ und an der Art und Weise, sein Leben zu fristen, welches sich qualitativ in nichts unterscheidet von dem eines Europäers, wohl aber in dem suggestiv positivistischen So-Sein der Protagonisten, die, ob sie nun von ihrer Frau verlassen wurden oder aus Versehen ihren Sohn erschossen, unerschütterlich einer einfallslos zufriedenen Normalität frönen. Kein Drama weit und breit, keine „großen Gefühle“. Diese empfindungstaube Dickarschigkeit produziert das Bedrohliche der Texte, man wähnt die Bekanntschaft mit künftigen Amokläufern zu machen, die von ihrem Potenzial nichts zu wissen scheinen, was sie umso beunruhigender macht. Sie scheinen sich mit ihren Standardsituationen (Grill aus der Garage holen) und flach fächelnden Feierabendbesinnlichkeiten immer näher an den Rand der Katastrophe zu bewegen. Jedes Mal, wenn man meint, nun kracht’s gleich, bricht Arne Nielsen seine Geschichte ab, und sie endet in genau der schwebenden Langeweile, die das gesamte Leben seiner männlichen Hauptfiguren auszeichnet.

 

Arne Nielsen übertreibt hier maßlos, um den bedrohlichen Effekt zu perpetuieren – den Eindruck als Leser, den in der harmlosen Person schlummernden Amokläufer auszumachen. Dieser Effekt kommt im Klima gleichschwebender Langeweile besonders effektvoll zum Ausdruck. Daraus folgt unweigerlich, dass das Buch keinerlei Sprachwitz hat und die Dialoge dürr sind, sie dienen dem Leser lediglich zur Einschätzung des beklagenswert dürftigen Geisteszustands der Sprecher, begleitet von einem immer lau temperierten: sagte er, fragte er, sagte sie, fragte er ... in gleichmäßigem Wechsel und ohne weitere Steigungskurve.

Absurd sind die Erzählungen aber doch, da Nielsen seinen Hauptdarstellern seltsame Begebenheiten zumutet, die sie dann mit stumpfem Gleichmut über sich ergehen lassen. Sei es nun das sinnfreie Ausheben großer Erdlöcher, wie die namensgebende Erzählung „Buddeln“ beschreibt, oder die Eifersucht auf einen Brunnen, die man mit Rotwein zu betäuben sucht.

 

Die Verwandtschaft der Erzählungen untereinander erzeugt den Eindruck, alle diese Storys seien im selben Viertel in der selben beschissenen Stadt passiert. Jedenfalls laufen Leute in allen Erzählungen auffallend oft auf den Dächern ihrer Häuser herum, einmal befindet sich sogar ein Hund auf dem Dach. Die Männer der vier Erzählungen bekommt man sofort durcheinander, wenn die eine Geschichte um einen hormonell nicht ganz sauber eingestellten Idioten geht, könnte es derselbe sein, der am nächsten Abend in geselliger Runde fürchterlich banalen Unsinns Aussagen macht über die Güte der Steaks. Warum sind es sieben Erzählungen, warum ist es nicht eine? Sie haben Kinder, trinken, die Frauen laufen weg, sie sind krank, haben Angst vor ihrem Chef und vor der Arbeitslosigkeit, keines der Attribute schließt ein anderes aus. Aber egal – es sind sieben Erzählungen. In Kargheit und Kürze. Wer so schreibt wie Nielsen, hat es dann sehr viel schneller als andere Autoren mit Finessen zu tun, deren befriedigende Durchführung sehr schwer zu liefern ist. Kurz sind die Texte, aber ginge es nicht noch knapper? Grausam, aber ginge das nicht noch kälter? Wer sich vor allem auf Antizipationen bei den Lesern stützt, sollte dessen Mitarbeit nicht auf halbem Wege vorsichtshalber doch mit saftigen Beschreibungen unterbrechen. Im Ganzen sind die Erzählungen gut, aber nicht zwingend, normal, aber nicht in aller Brutalität, mit der Alltag geschildert werden kann, wenn es sich überhaupt lohnen soll, ihn zum Thema zu machen. Den Texten widerfährt das Gleiche wie den Protagonisten der Texte, man bleibt ungerührt und bequem, wie die Texte eben selber so eine Bequemlichkeit haben, schlau eingefädelt, aber nicht konsequent genug durchgesteppt durch alle Lagen. Artifiziell in einem unfreiwilligen Modus, artifiziell in einem psychologisierenden realistischen Sinne. So ein Aha, da ist also so ein Typ beschrieben, der die Welt so auffasst – kenn ich doch von meinem Nachbarn, meiner Verwandtschaft, von mir selber ... Bitte, solche Literatur sollte man möglichst nicht so viel schreiben, aber es ist zugegeben schwierig, es bei dieser Kargheit nicht zu solchen Übertragungen kommen zu lassen, Übertragungen, die immer nur der Kopfschublade zuliebe gemacht werden und mit Literatur recht wenig zu schaffen haben.

„Buddeln 1-3“ liest sich nicht so wie Carver, dafür setzt Nielsen zu ausschließlich auf diesen den Personen unbewussten Bedrohungs- und Tragikeffekt, ein auf Dauer etwas plumpes literarisches Trickkistenverfahren. Man ist aber doch an den Film der „Eissturm“ erinnert, die obere Mittelklasse kurz vorm Durchdrehen, nur dass im „Eissturm“ auch wirklich etwas passiert.

 

Gustav Mechlenburg

 

Arne Nielsen: Buddeln 1–3, 144 Seiten, 14,90 €, Liebeskind 2006

 

Cohen+Dobernigg Buchhandel

 

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