19. Dezember 2006

West-östlicher Diwan

 

Auf der einen Seite Deutschland, Joachim Helfer, ein über Sexualität und Gesellschaft schreibender Schriftsteller; auf der anderen Seite Libanon, Rashid al-Daif, Autor moral- und gesellschaftskritischer Literatur. Dazwischen ein Austauschprogramm namens West-östlicher Diwan, das paarweise Schriftsteller zwischen Okzident und Orient zusammenbringt und anschließend Impressionen wie Einsichten publiziert. Die beiden Autoren reisen also in die jeweiligen Nationen, um dem derzeit populären und stark polarisierten Begriff Kampf der Kulturen durch gegenseitige Besuche entgegenzuarbeiten. Ein aktuelles, ein wichtiges Vorhaben, das von allerhand Seiten gewürdigt wird, das wie viele andere Austauschprogramme vielleicht zur Tradition wird, sodass es eine schöne und deeskalierende Hoffnung inmitten der interkulturellen Auseinandersetzungen allein der letzten fünf Jahre ist.

 

Es ist also schön, wenn der Austausch zwischen Kulturen nicht nur in medienwirksamen Schlusssätzen und auf pointenreichen Bühnen stattfindet, sondern durch Menschen, die es gewohnt sind, über Gefühle und Eindrücke zu berichten. Und so darf man hoffen, dass Autoren nicht das Allgemein-Passende darstellen, sondern sie von konkreten Menschen und nicht nur im Raum schwebender politischer Toleranz sprechen. Ein solcher Austausch, wie er zwischen Nationen und Kulturen existiert, schafft schließlich einen Dialog oder Diskurs vor allem über Gemeinsamkeiten. Daraus resultieren vielfach Dokumentationen, Interviews, aber auch künstlerische Berichte wie Literatur oder Film.

 

Nach der Rückkehr, nach gegenseitigen Besuchen und einer gewissen Zeit, verfasste al-Daif seine Eindrücke und daraus entstand, basierend aus der Begegnung mit Joachim Helfer, schließlich sein Besteller Wie der Deutsche zu Vernunft kam, der in Libanon zum Bestseller avancierte. Nur hat al-Daifs Fassung ein beachtliches Manko: Joachim Helfers Kommentare wurden ausgespart. Die uns hier vorliegende Fassung dagegen beinhaltet sowohl al-Daifs Texte als auch Helfers Kommentare. Die Gründe, warum man in Libanon aus dem Dialog einen Monolog schuf, mögen politische sein, immerhin galt al-Daifs Literaturwerk schon zuvor als aufwieglerisch und islamkritisch, in einem Land, in dem die Hisbollah zunehmend an Macht gewinnt. Libanon, das ist die Nation, die einmal charakteristisch war für ihre für den Orient westlichste Prägung und es ist das Land, dessen Hauptstadt das Paris des Orients genannt wurde, und es ist der Staat, der in der Region eine der größten Wandlungen hin zum Islamismus vorgenommen hat.

 

Was zeichnet nun diese Begegnung wie den Bericht aus? Die literarische Form des Dialogs, und die Offenheit der Protagonisten al-Daif und Helfer.

 

Was wie so viele Programmberichte nüchtern beginnt, indem sich beide Teilnehmer ihrer Freundschaft versichern, indem beide auf Dank und das Programm, auf lokale Umstände und so weiter hinweisen, wird bald durch das Stigma, unter dem die Lektüre durchgängig schlägt, erschüttert: Der Organisator Thomas Hartmann teilt al-Daif vor Thomas Helfers Anreise mit, Thomas Helfer sei homosexuell, und das nur nebensätzlich, sicherheitshalber, damit al-Daif, für den Fall, dass er es nicht wisse oder wenn er ein Problem damit hat, immerhin Araber, sich darauf einrichten kann.

 

Al-Daif, ein Nonkonformist, ein Autor der die islamische Gesellschaft und die Konfrontation mit dem Westen thematisiert, reagiert daraufhin überrascht, sowohl über den Hinweis als über seine Reaktion, und er beginnt in aller Offenheit sich und Hartmann zu hinterfragen. Warum Hartmann ihm die Homosexualität Helfers nahe legte und warum er sich dessen stört, und warum al-Daif selbst, wenn er sich dessen nicht stört, nun doch in Unbehagen und Nachdenklichkeit verfällt. Es beginnt eine Rechtfertigung, Auseinandersetzung, ein innerer Monolog um die Rechtschaffenheit der Vernunft, der arabischen Moralvorstellungen, des westlichen Werteverfalls und al-Daifs Persönlichkeit. Daif berichtet, wie froh er war, als er erfuhr, dass sein Sohn nicht schwul sei, eine Freundin habe und keine Drogen nehme: Dabei hat er nichts gegen Schwule. Und wie froh er eigentlich war doch zu wissen, dass Helfer schwul ist, weil er sich nach reiflicher Überlegung einig wurde, dass man das wissen müsse, obwohl es andererseits nicht von Belang ist. Und wie sehr ihm dieser reaktionäre Gedanke missfällt. Und er erzählt von den gemeinsamen Abenden, von unausgesprochenen Sätzen, von seinen Eindrücken zu Deutschland, und Frankreich, jenem Land, in dem er vor vielen Jahren studierte. Dieses für sich sei bereits Literatur. Dieses muss dem libanesischen Verlag Brennmaterial genug gewesen sein, um über das Gesamtkonzept nachzudenken und Joachim Helfer auf ein literarisches Objekt zu reduzieren.

 

Trotzdem existieren parallel zu al-Daifs Schilderungen, Joachim Helfers Kommentare. Womit sich eine Verhandlung um Homosexualität zwischen Okzident und Orient, um Intellektuelle im Besonderen, die sich einer toleranten, aber gelegentlich reaktionären oder unsicheren Position zu Homosexualität sicher glauben, also nicht nur der brütenden Unwissenden, abzeichnet. Während al-Diaf über Joachim Helfer bis ins Private erzählt und vor seiner Person dergleichen keinen Halt macht, kommentiert Joachim Helfer mit gleichfalls schonungsloser Gesprächigkeit sich, seinen viel älteren Partner, Liebschaften, die Begegnung mit Libanon und den Libanesen, die Araber und die Homosexualität allgemein, und schließlich und nicht zu knapp: al-Daifs Moralvorstellungen. Der fast literarische Höhepunkt wird erreicht, und man ist fassungslos angesichts der Mitteilsamkeit, als Joachim Helfer in Libanon eine Frau kennen lernt und al-Daif sich in seinen Thesen bestätigt und schließlich angewidert fühlt.

 

Ein sehr persönliches Manifest an Homosexualität, und tatsächliche und nicht nur abstrakte Toleranz zwischen Geschlechtern und Kulturen. Eine wirkliche Ausnahme in der sonst sachlichen oder distanzierten Berichterstattung.

 

Ein Mangel bleibt dessen ungeachtet die literarische Form, die des angekündigten Dialogs. Rede gegen Rede, das bedeutete Zwiegespräch, eine Diskussion oder Debatte. Das ist hier leider nicht der Fall, es ist denn mehr ein Gedankenaustausch. Da al-Daif seine Texte zuerst verfasste, Joachim Helfer diese nachträglich und in sicherem Abstand kommentierte, entstand kein Dialog, sondern ein kommentierter Monolog, eine literarische Aussprache. Und wenn al-Diaf auch ein Nachwort vorbehalten wurde, hat, und das ist leider formbedingt Programm, Helfer das letzte Wort. Das enttäuscht nicht nur, es ärgert. Dabei hätte es ganz anders kommen können. Denn wie echte Dialoge zur Erörterung beitragen können, weil die einmal populäre Dialogform durchaus ihre Vorteile hat und wissenschaftliches Publikationswerkzeug war, in wissenschaftlichen oder quasiwissenschaftlichen Publikationen zwar aus der Mode gekommen ist, in diesem persönlich-moralischen Karton funktioniert und ihre Wirkung entfaltet hätte, kann gar nicht gesagt werden. Die Andeutung der Form bleibt demnach hübsch. Helfers Kommentare ließen, bei allem Verständnis fürs Prekäre, manchmal, vielleicht attackiert durch al-Daifs Offenheit, zu wünschen übrig, weil sie müßig affektiert, polemisch oder anekdotisch und übersoziologisch entweder al-Daif oder gleich die ganze arabische Welt anfeindeten.

 

Rafael Wawer

 

Daif, Rashid al- / Helfer, Joachim: Die Verschwulung der Welt. Rede gegen Rede. Beirut - Berlin, Suhrkamp 2006, 199 Seiten

 

 

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