5. Dezember 2006

Zimperlichkeiten

 

Bernd Cailloux, der Autor des viel gerühmten Hippiebusinessmen-Romans „Das Geschäftsjahr 1968/69“ legt bei Suhrkamp eine Reihe von neun Erzählungen vor. Alle Geschichten in „german writing“ berichten vom Leben eines Schriftstellers in Deutschland, z. B. von Bernd Cailloux selbst. Vom ewig eitlen Zwang, gegenseitig seine Wissensstände abzutasten und der darauf einsetzenden Fassungslosigkeit gegenüber Lektoren und Chefredakteuren, die ohne näher bestimmten Wissensstand instinktiv die ins Kraut schießende Produktion unterbinden. Und von verdruckster und verärgerter Selbsterkenntnis beim wieder Lesen des Selbstgeschriebenen. Das Erkennen der „zarten Kriechspuren von Klassenkritik“ im Gourmetführer lassen den Autor vor sich selbst schaudern und den Leser lachen. Es geht ganz generell darum, wie man mit seinen Illusionen haushält und dabei nicht unter die Räder kommt, denn die Welt ist voller Leute, die solche Autorenzimperlichkeiten weder verstehen noch schätzen. Ein Zustand, der den Autor nur umso auswegloser an seinen Schreibtisch leint, mit möglichst geringen Außenkontakten, da es dort nur ständig zu eklatanten Missverständnissen und kuriosen Demütigungen kommt. „Die Leute“ sind das ewige Mirakel, sie gebärden sich unglaubwürdig, und als Autor bleibt einem nichts, als ihnen zu misstrauen. Entweder sie erscheinen zu mehreren Tausenden oder sie nehmen einen nicht zur Kenntnis, so kann doch kein Mensch vernünftig arbeiten.

„german writing“ beinhaltet eine Sammlung von sehr realistischen Erfahrungen mit dazu passenden Lösungsvorschlägen, so etwa die fundierte Methode zur „Theorie des Ganges, eine hilfreiche Berechnungsgröße, um die psychischen Voraussetzungen für mögliche Handlungen zu erkennen“.

So komisch bockig und gleichzeitig auskunftsfreudig über die Produktionsbedingungen zu reflektieren, kann derzeit nur Bernd Cailloux. Und bei der aktuell grassierenden Seuche jugendlicher Dauerfrische ist es angenehm, von ihm zu hören: Sicher, es gibt Methoden, sich jünger aussehen zu lassen, aber eben auch blöder.

 

Gustav Mechlenburg, Financial Times Deutschland 5.12.2006

 

Bernd Cailloux: german writing, Erzählungen, edition Suhrkamp 2006, 142 Seiten

 

Cohen+Dobernigg Buchhandel

 

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