13. November 2006

Fast wie Frauen

 

Dandys sind schon lange ausgestorben. Wahrscheinlich unmittelbar vor den viel diskreteren Flaneuren. Konsumorientierte, permissive Gesellschaften bringen alles Mögliche hervor, nur keine Dandys. Ein gewisses Restriktionsniveau ist notwendig, um ein solches Elaborat zu erzeugen, denn nur wo Langeweile und Verbot herrschen, können gewisse gesellschaftliche Typen nach ihren eigenen Regeln leben, die dann entsprechend auffallen, skandalisieren oder belustigen. Der französische Schriftsteller Jules Barbey d’Aurevilly war selber kein Dandy. Dazu besaß er zu wenig Geld, und seine seltsame Kleidung war weniger erlesen als abenteuerlich. Aber ihn interessierte das Phänomen, das er selber nicht verkörpern konnte. Außerdem war er dem berühmtesten aller Dandys, George Bryan Brummell, selbst begegnet, in Caen, wohin Brummell aus finanziellen Gründen geflohen war und wo er schließlich, in einer Irrenanstalt, starb. Barbey hat den 30-Jahre älteren Dandy wohl nicht kennen gelernt, aber er hat ihn gesehen, und das war wohl hinreichend, in ihm den Entschluss geweckt zu haben, über ihn und das Dandytum zu schreiben. Dieses Buch ist indessen keine Hagiographie – dazu sind die Bedingungen der Hervorbringung eines solchen Phänomens zu spezifisch, zu lokal. Der Dandy ist ein englisches Ereignis. Lebemänner oder Gecken hat es auch in Frankreich gegeben, aber eben keine Dandys, die nur in dem prekären gesellschaftlichen Spannungszustand zwischen gefordertem Anstand und empfundener Langweile entstehen konnten. Zuwenig Puritanismus bricht das Regelwerk, und Regeln hat der Dandy wie keiner nötig, um sich ihnen gegenüber zu positionieren und sie letztlich doch zu respektieren. Der Dandy ist kein Revolutionär. Er spielt, hält das aber für den Ernst des Lebens selber. Der Schein ist für ihn das größte Sein, denn nur dieser Schein ist selbst produziert, von dem die allergrößte Wirkung auf das Publikum ausgehen soll. Der Dandy will gefallen, auch wenn er provoziert mit dem, was er sagt und wie er angezogen ist – ohne Auffallen, Bemerktwerden und erreichter Resonanz gibt es ihn nicht. Der Dandy ist ein Gesellschaftstier, auch wenn er noch so arrogant auftreten sollte, der Duft der verspürten und versprühten Eitelkeit ist die Essenz selbst seines Daseins. Barbey schreibt eher impressionistisch über Brummell, eine vielleicht auch gar nicht geplante Anekdotensammlung über den Engländer hatte bereits ein anderer Engländer, William Jesse, vorgelegt, die Barbey Brummells im übrigen unwürdig fand. Wer allein über die im Grunde unbeschreibliche Nuance über seine Welt herrscht, inklusive politische Herrscher, die sich selbst als Dandys versuchen, entzieht sich dem plumpen Merkspruch, den so niemand anderes eben gar nicht erst aufsagen könnte, weil er nicht wüsste, wie er es sagen sollte. Nicht Kleider machen Leute, der Dandy macht die Kleidung: „Ein Anzug bewegt sich ja nicht von allein!“ Unabhängigkeit ist die Voraussetzung des Dandys, und Unabhängigkeit ist das Resultat seiner Existenz, denn er kann höchstens sich selbst als Freund haben, er, von dem erwartet wird, dass er immer das Gegenteil von dem tun wird, was man von ihm verlangt. Das hält keine Freundschaft aus. Dandys, oh Schreck, haben kein Herz. Frauen würden sich vergebens bemühen. Eine solche ziemlich unergiebige Geschlechterlage lässt Barbey später einen weiteren Aufsatz schreiben, der hier mit abgedruckt ist, in dem er einen Dandy kenntlich zu machen versucht, den Duc de Lauzun, bevor es solche überhaupt gab, und das auch noch in Frankreich, wo angeblich ja gar keine lebten. Wie auch immer, auch diese Geschichte ist ganz wunderbar zu lesen, und man wünscht sich als Leser noch mehr von solchen Sittengeschichten, in denen knapp und exquisit ein Kosmos mehr suggeriert als geschildert ist, von dem klar ist, dass es ihn so nie wieder geben wird. Aber irgendwohin muss ja die ästhetische Intelligenz abgewandert sein.

 

Dieter Wenk (11.06)

 

Jules Barbey d’Aurevilly, Über das Dandytum, aus dem Französischen und mit einem Anhang versehen von Gernot Krämer, Berlin 2006 (Matthes & Seitz Berlin)

isbn.codobuch.de