12. November 2006

Chinesischer Stiefelknecht

 

Sollers hat noch nie einen „ordentlichen“ , will sagen realistischen, psychologischen, Roman geschrieben (bis auf seinen Erstling, aber den lässt er selber nicht mehr gelten). „Der Park“, ein schwerfälliger „Nouveau Roman“, „H“ und „Paradis“ interpunktionslose Versatzstücke als prätentiöse Joyce-Imitate, dann die scheinbare Kehrtwende mit „Femmes“, wo aber auch nicht erzählt wird (der Beginn des selbstgerechten Schulterklopfens in eigener Sache). Alle paar Jahre empfängt die Sollers-Gemeinde ein weiteres ready-made der Selbst-Apotheose. Da ist immer ein jüngerer oder älterer Mann, der die Schnauze voll hat (in diesem Roman, wie schon in „Portrait des Spielers“ will der Erzähler sich umbringen), dann kommt eine Frau (mindestens) ins Spiel, und die Sollers-Maschine (pures Palimpsest) kann loslegen. Der Erzähler gegen den Rest der Welt, mit Ausnahme Chinas, einiger auserwählter Literaten und der Musik/Kunst. Erzählerisch wird gar nichts motiviert, ein paar Platitüden in Anschlag gebracht (der Erzähler gibt sich immer ein bisschen mysteriös, man weiß nichts von seinem Leben, seine Tätigkeit riecht nach Subversion, aber das ist so platt und unspannend wie ein Stück Seife, auf dem magrittisch steht: das ist ein Knüller), und das erotische Ambiente, das sich auserwählt und raffiniert wissen will, stammt doch nur aus den künstlichen Anbaugebieten des Edelkitsches. In diesem Fall hat der Leser es mit dem knapp 30-jährigen Ich-Erzähler und seiner zehn Jahre älteren Geliebten, einer erfolgreichen Advokatin, zu tun. Zwei Dinge nerven total: Zum einen die selbstgerechte, völlig unterschiedslose Diffamierung der übrigen Welt aus der Märchenperspektive der finanziell komplett abgesicherten Zweisamkeit; zum anderen die parasitäre Identitätsstiftung aus ebendieser abgelehnten Welt, an deren supponierter neidvoller Einschätzung ihm gegenüber der Erzähler sich nicht schlecht aufgeilt. Wie gewohnt wird wieder ausgiebig zitiert (zweites Moment des Parasitären), das Zitat ist im Grunde der Handlungsersatz, die Aufzählung vertritt die Beschreibung. Die beiden Protagonisten sind wie üblich spinozistisch strukturiert, das heißt, alle negativen Modi wie Eifersucht, schlechte Laune, Ambivalenz der Gefühle sind aus der Beziehung bewusst und selbstherrlich ausgeschlossen. Im Hintergrund, neben Spinoza, steht dabei natürlich Nietzsches amor fati. Das könnte man freilich auch materialistische Selbstvergessenheit nennen. Als ob der Autor das alles selbst ein wenig geahnt hätte, als ob er selbst den Plastikapfel des Falsch-Romanesken im Mund gespürt hätte, schiebt Sollers so brutal wie pseudo-naiv am Ende des Romans eine fingierte Leserkritik ein, die genau das zum Thema macht, aber nur, um diese Kritik durch die Selbstthematisierung unmöglich zu machen und die Rezeption in die gewünschte, sich „chinesisch“ gebende Bahn zu lenken. Und so heißt es denn, ultraverlogen und honigversoffen, aus der dem Kritiker unterstellten Kritik: „Und doch, es stimmt schon, ist das Buch nicht ohne Charme. Man schlägt es auf, schlägt es wieder auf, es packt einen. Vielleicht liegt darin das Ergebnis einer sehr alten chinesischen Technik.“ Allerspätestens hier möchte man das Buch (die Chinesen können ja nichts dafür) in die Ecke werfen. Das ist die Vulgarität und Obszönität einer sehr speziellen Variante von (französischer) Hochkultur, die sich mit ihren wiedergekäuten formalen Tricks längst überflüssig gemacht hat. Gerade ist Sollers’ neuester Roman erschienen, eine Idylle, wie es scheint.

 

Dieter Wenk (10.02)

 

Philippe Sollers, Passion fixe. Roman, Paris 2000 (Gallimard)