3. November 2006

Elternlos glücklich

 

Meg, Jo und Amy wachsen in New York auf, genauer gesagt in der Upper West Side von Manhattan. Wer da wohnt, verdient entweder viel Geld oder stammt aus einer Familie mit viel Geld. Die Eltern sind liberal und verständnisvoll, wollen von ihren Töchtern beim Vornamen genannt werden. Alles könnte also super sein, wenn da nicht die Sache mit der Mutter wäre, die eine Affäre mit einem ihrer Studenten hatte. Das können die Töchter auf keinen Fall verzeihen. Da wird den Eltern die kreative Auslegung der eigenen Moralvorstellungen zum Verhängnis, vor allem die beiden jüngeren Mädchen Amy und Jo, 15 und 17 Jahre alt, sind vom Verhalten ihrer Mutter so entsetzt und und wütend auf ihren verständnisvollen Vater, dass sie zu ihrer älteren Schwester Meg nach in New Haven ziehen. Dort versuchen sie, ihr Leben auf eigene Faust zu meistern. Das gelingt nicht immer ohne Probleme, Amy und Jo zum Beispiel müssen auf die öffentliche Schule gehen und lernen so beizeiten, die Vorteile privater Bildungsanstalten zu schätzen. Außerdem bemerken sie voller Entsetzen, dass das Leben in Freiheit doch recht kostspielig und somit nur mithilfe von Nebenjobs zu finanzieren ist. Da stellt sich doch manchmal die Frage, ob es nicht besser wäre, vom hohen moralischen Ross wieder in die Niederungen der eigenen Bequemlichkeit hinabzusteigen.

 

Liebhaber der amerikanischen Literatur erkennen in der Namensgebung der Schwestern eine Anspielung auf den Jugendbuchklassiker „Little Women“ („Betty und ihre Schwestern“) von Louisa May Alcott. Einzig Beth fehlt, aber da diese im zweiten Teil des Romans stirbt, haben die Eltern wohlweislich darauf verzichtet, eine ihrer Töchter nach ihr zu benennen. Ansonsten gibt es auf verschiedenen Ebenen Parallelen zu Alcotts Roman, zum einen gehen die Protagonistinnen selbst scherzhaft darauf ein, zum Beispiel wenn erwähnt wird, dass es einmal eine Schildkröte namens Beth in der Familie gegeben hatte, der jedoch „ein tragischer früher Tod bestimmt war, wie es ihrem Namen entsprach“, zum anderen schreibt die Autorin Katharine Weber den Mädchen die Charaktereigenschaften ihrer Namensvettern zu und lässt sie auch vergleichbare Dinge erleben.

 

Erzählt wird der Roman von der mittleren Schwester Jo, jedoch dürfen die beiden anderen ihre Kommentare am Ende der Kapitel einfügen, soweit ihnen das notwendig erscheint. Auf diese Weise schafft Weber neben der Geschichte der drei Schwestern auch Raum für Reflexionen über Realität und Fiktion. Die eingefügten Kommentare wirken dabei aber keineswegs aufgesetzt oder störend für den Handlungsverlauf. Das Buch ist somit nicht nur ein Entwicklungsroman, sondern auch ein Roman über das Schreiben.

 

Katrin Zabel

 

Katharine Weber: Der Liebhaber unserer Mutter, C. H. Beck 2006, 336 Seiten. Aus dem Englischen von Brigitte Gerlinghoff

 

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