29. Oktober 2006

Bourgeoise Punks

 

Das Bedürfnis, ein wenig Struktur in das einen umgebende und durchdringende Leben zu bringen, provoziert u. a. Veröffentlichungen. Man orte in der dummen Kontingenz Notwendigkeit und Zusammenhang, versehe die Ergebnisse mit einem fashionablen Äußeren und vergesse nicht beim Arbeiten, eine Selbstdistanzierung vorzunehmen, da man andernfalls in Identifikationsfallen gerät, aus denen man sich nicht mehr herauswinden kann, auch nicht mit weiteren Veröffentlichungen.

 

Hier also drei exemplarische Bände dazu und obendrein dreimal mit ähnlichem Befund. Die Wahrscheinlichkeit, dass das dort Verhandelte irgendwie stimmt, ist recht hoch, besonders da man für sich selbst auch zu einem vergleichbaren Befund gekommen ist und diese Bücher einen nachträglich herzlich bestärken in seiner blitzgescheiten Auffassung, mit der man in der Lage ist, bedächtig zu sagen: Tja, so ist das.

 

Es geht um „Negativprotzerei“, so hätte es Günther Anders genannt, Lebensentwürfe der jüngsten Zeit, der letzten 10 Jahre, es geht um Konsum, Pop und Netzwerke. Nicht mehr die bombastischen Symbolisierungen von Macht durch schiere Größe, so wie man es aus traditionellen Familien- und Staatsritualen kennt, sondern die Unsicherheit, die Winzigkeit der Speichermedien und die unerklärbaren und unaufdeckbaren Zusammenhänge sind von Interesse.

 

Man fühlt sich beschenkt, wenn man keinen festen Arbeitsplatz hat. Es erleichtert einen, nicht zu wissen, was man nächsten Monat jeweils Dienstags machen wird, man freut sich an den bescheuerten Referenzen des Pop, die man nur verstehen kann, wenn man jahrelang Konsument des modisch Kaputten, Assoziierten und Gott sei Dank doch Zusammenhanglosen war, man lacht über die Idiotie der Benamselung von Früchteteebeuteln, die „Sommernachtstraum“ heißen, man will das trotzdem haben, man nennt es Arbeit, obwohl es dafür keinen Lohn gibt, aber das wird schon, man hat kein Lebensziel, aber ein Lebensgefühl, und mit diesem Gespür für Gefühl kommt man über die Tunnelstrecken der Netzwerke doch wieder zu einem Geldablageplatz, man ist sich dessen sicher und interessiert sich deshalb relativ wenig dafür, was man da eigentlich treibt ... Das kann nicht jeder, aber es werden mehr. Es äußert sich in der besinnungslosen Übernahme dessen, was man jahrelang als neoliberalen Dreck bezeichnet hat.

 

Und dies ist also in diesen drei verschiedenen Büchern festgehalten.

 

Wolfgang Ullrich schreibt über den Konsum, die Veränderungen, denen dieser Begriff ausgesetzt ist, seit einiger Zeit, aber besonders jetzt. Über die Suggestion der ewigen Wiederkehr des Besonderen, aber Achtung: neuerdings eben für eine bestimmte Bevölkerungsgruppe, vor allem einer unauffällig eleganten Wiederkehr. Natürlich sind Konsumartikel keine Kulturartikel, weder aus kulturpessimistischer noch aus konsumistischer Perspektive betrachtet. Etwas haben zu wollen, hat nichts mit Kultur zu tun, manchmal verweisen Konsumgüter geschickt auf Kultur, sie treten dann als Schaf im eleganten Wolfspelz auf. Haben wollen ist weder moralisch gut noch ästhetisch schön, haben wollen weckt aber von den Toten auf, so die Geschichte eines Wachkomapatienten, der sich mit dem Wort „Pepsi“ auf den Lippen wieder unter den Konsumenten meldete. Davon schreibt Ullrich aber nicht, es scheint ihm ernster. Es geht um Distinktionsgewinn durch Kaufentscheidungen. Ullrich schreibt über Manufaktum. Emsig, lauter und ein bisschen langweilig, und das, wo er doch mal von märchenhaften Erlebnissen als Unternehmensberater im Kreise der Erlkönige berichten könnte.

 

Spezieller sind die halblaunigen Betrachtungen von Holm Friebe und Sascha Lobo, nicht allgemeine Manufaktum-Phänomene, sondern die soziologischen Affekte im Zusammenhang mit der Moleskinheft-Seuche nehmen sie zum Beispiel. Ihr Buch ist eine Beschreibung dessen, was „Wir“ als Arbeit bezeichnen. Mit dem Titel „Wir nennen es Arbeit“ ist dann auch schon umfassend beschrieben, um welche Distinktion es sich hierbei dreht. „Wir“ sind die, welche manchmal noch, und das muss dann demnächst mal endgültig aufhören, „die Guten“ genannt werden, welche sich manchmal und dann besonders arg auch selbst so nennen, Leute, die mit selbst gemachter Verbiesterung Projekte konzipieren und abarbeiten. „Businessplanlos“, aber irgendwie sexy. Oder besser doch lieber sympathisch, so wie Marienkäfer, Igel oder kleine Hunde eben auch Sympathieträger sind, sie mögen sich dagegen sträuben oder nicht. „Wir“ sind jene, welchen man eine gewisse Medienkompetenz zuschreiben kann, nämlich ein Differenzierungsvermögen zwischen Postkutschen und Datenstrahlen, beide Transportwege werden nach wie vor gebraucht, für verschiedene Formen von Distinktion, das ist Herrschaftswissen und darum geht es Holm Friebe und Sascha Lobo und das erklären sie auch ganz hübsch und führen es mit der Veröffentlichung von Datenstrahlkompetenzen im Postkutschenformat auch gleich selbst vor.

 

Jedem Alter seine Ratgeber. Dieses Ding ist also ein Ratgeber für Topchecker, die sich genauso zu verhalten suchen, wie der Ratgeber nachträglich empfiehlt. Wie bei Ratgebern üblich, ist die Differenzierung und das Beckmesserische Für-wider-und-allerdings-Getue, das ganze Geprokel eben zugunsten eines sahnig schmeichelnden 11-Punkte-Programms verknappt, hat also etwas von einem Diätplan (was denn: Sicherheit, Perspektivlosigkeit, Angst – braucht man alles nicht, macht bloß fett und traurig) oder einem Zirkeltraining (blog blog blog, ein Glas Milchkaffe, 24 Hirnluftmaschen, nach oben abheben und 15 Projekte neu aufnehmen, zum Sterben schick (telefonieren nicht vergessen)) – das ist durchaus komisch.

Schaudern wandelt einen allerdings an, wenn man die Reaktionen des Publikums miterleben kann, so geschehen auf einer Lesung im Hamburger Elektrohaus: Affirmation und endlich einmal Wiedererkennung (seltsam, so als ob das werte Publikum sonst den ganzen Tag Literatur der Weimarer Klassik lesen würde), – ja da geht’s ja jetzt um mich – toll, in Galao geschwenkt und abgeschleckt, als ob’s ein Wunder sei (der Buchhändler ist’s zufrieden, das Ding verkauft sich prächtig). Daraus kann man keinem Autor einen Vorwurf machen, aber doch hoffen, dass die beiden bourgeoisen Punks in einer ihrer nächsten Einführungen über die digitale Boheme dem Publikum deutlicher eröffnen, dass dieses Werk eben eine Geldmaschine ist, keine Sinnmaschine, ein Beweisstück für das Funktionieren ihrer Thesen und dass sie nicht bereit und außerdem schlau genug sind, sich von Kategorienfehlern wie „das ist ja total unpolitisch“ irremachen zu lassen.

 

Während die beiden also wacker in die Zukunft prospektieren und Goldlöckchen Westerwelle das Fürchten lehren, wenden die Herausgeber des ähnlich dicken Buchs „Elend“ einen unbestimmten Blick zurück über die leichte Schulter, die Popschulter, in der man aber aufgrund vorgerückten Alters nun schon bald das Reißen hat.

 

Es geht um die nun doch vielfach wiedererwärmte, aber dabei wird’s ja immer besser, durch und durch gerührte Terrine, was das sei, was auch das Reißen verursacht, und wie das angefangen hat und wo man das abschalten kann, wer das jetzt ist und was man damit machen kann. Es geht um die „ Frage der Relevanz von Pop in Kunst, Leben und öffentlichen Badeanstalten“. Halb Teaser des Magazins Monopol, halb verzweifelt nach Witz schnappend, ist „Elend“ darauf aus, einen Gegenwartsbefund auszustellen. Die Kartierung der Symptome gelingt mit rund 50 verschiedenen Autoren. Es gibt viele aktuelle Bildstrecken anzuschauen und fast noch mehr ironische Retrospektiven zu lesen, wobei die Ununterscheidbarkeit von Text- und Bildautoren im Inhaltsverzeichnis am deutlichsten berichtet von diesem Popmustopf dessen Verdienst es ist, alles durcheinander vorliegen zu haben und damit hirnigen Styledemagogen ein unendlich weites Spielfeld mit dazu passenden Kaufempfehlungen zu bereiten, worüber auch ausführlich referiert wird.

 

„Elend“ und „Wir nennen es Arbeit“ kann man ganz gut zusammenschließen. „Elend“ versammelt diverse Aspekte, die notwendige Vorläufer für die Taten sind, welche in „Wir nennen es Arbeit“ beschrieben werden, während „Haben wollen“ onkelhaft besorgt diese Synergien beäugt. Also gibt es doch so eine Notwendigkeit, jedenfalls Kausalität, das heißt, wenn man sein halbes Leben beim Rasieren oder während man darauf wartet, es endlich zu tun, irgendwas mit ... rights, jes, jes, freedom trällert, ist es einem eben nicht besonders behaglich in Büroetagen mit eigener Stechkarte in der Jackettinnentasche, worauf hin man sich geschwind eine neue Kaffeemaschine kauft.

 

Nora Sdun

 

 

Wolfgang Ullrich: Haben wollen. Wie funktioniert die Konsumkultur? Mit Bildteil, 30 Abbildungen. Fischer S. Verlag 2006, 217 Seiten

 

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Holm Friebe, Sascha Lobo: Wir nennen es Arbeit, Heyne 2006, 304 Seiten,

 

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ELEND – Zur Frage der Relevanz von POP in Kunst, Leben und öffentlichen Badeanstalten. Hrsg. von Frauke Boggasch und Dominik Sittig. Verlag für moderne Kunst Nürnberg 2006, 361 Seiten, zahlreiche Farb und s/w Abbildungen. Mit Beiträgen von: BLESS, Olaf Breunig, Mercedes Benz, Martin Burckhardt, Nic Hess, PEACHES, Daniel Richter, u.v.a.

 

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