13. Oktober 2006

Überwindungslust

 

Es dürfte schwer fallen, die Erzählungen von Jochen Schmidt nicht sympathisch zu finden. Wer hier nicht mitleidet, wird sich vermutlich immer noch zu dem Urteil „ganz nett“ entschließen können, aber das ist ja schon wieder nicht ganz ungefährlich, es sei denn, das Urteil verweist auf ein völlig anders gestricktes Gemüt, das keine Probleme mit Frauen hat, sondern sie wahrscheinlich irgendwann von diesen bekommt. Jürgen Reip, vielleicht das literarische Alter Ego Jochen Schmidts, ist die nette Hauptfigur in diesen netten Geschichten, die immer zu den gleichen Problemen führen. Jürgen liebt ein schönes Mädchen, das schöne Mädchen liebt aber nicht zurück. In der Geschichte „Es ist, was es ist, und das nicht zu knapp“ hat es Jürgen eine Barfrau angetan. Von dem „im übrigen“ völlig überschätzten Einschüchterungsspruch „Barfrauen sind tabu“, der hier aber auch gar nicht erwähnt wird, lässt sich Jürgen gar nicht erst tangieren. Er handelt nach der Devise: Schüchterne Männer handeln indirekt. Jürgen ist hochgebildet – er kennt zum Beispiel Heiner Müller sehr gut, den alten Säufer –, und er glaubt an das traditionelle Bild, dass man Frauen durch Literatur imponieren kann. Und da Schüchternheit und Bildung meist noch eine gewisse Zwanghaftigkeit ziert, spielt Jürgen, bevor er Mariposa, so heißt seine begehrte Frau, einen selbst verfassten Text überreicht, die Übergabe schon mal in verschiedenen Spielarten durch, um auf die möglichen Reaktionen gefasst zu sein. Natürlich reagieren nicht-verliebte Frauen auf solche Sachen meist noch härter als im worst case angenommen, und das hier bei Jochen Schmidt zu lesen, ist wirklich urkomisch. An Frauen gar nicht erst ranzukommen, ist schon schlimm genug, hat aber den Vorteil, sich alle möglichen Gründe selbst ausdenken zu können, warum es nicht geklappt hat. Wenn man aber – wie Jürgen in der Geschichte „Chaussee Enthusiastow“ – eigentlich schon ganz gut vorangekommen ist, um auf halber Strecke erfahren zu müssen, dass man zwar ein ganz netter Kerl sei, aber kein Mann oder jedenfalls nicht „gefährlich“ genug, dann ist das ziemlich niederschmetternd; so deutlich möchte man das von Frauen nie erfahren müssen. In dieser Geschichte kann Jürgen aber einen ethnologischen Grund vorschützen, denn seine begehrte Frau ist diesmal eine Rumänin, und um da als Mann mithalten zu können, müsste man schon eine ganze Menge wissen und zugleich verkörpern. Kein Wunder, dass Stella mehr auf Polen, Serben und Bulgaren steht. Die Gespräche zwischen Jürgen und Stella gehören zum Lustigsten in diesem Buch, denn Stella bringt so einiges durcheinander in Sachen Grammatik und Vokabular. Neben diesen also eher harmlosen Liebesgeschichten erzählt uns Jochen Schmidt noch ein paar Geschichten aus der alten DDR, die ebenfalls unspektakulär daherkommen, die man aber vielleicht gerade wegen ihrer unaufgeregten Genauigkeit mögen wird oder schon mag. Außerdem gibt es Momentaufnahmen zu „Berufen“ zu lesen (Der Bastler, der Amerikaner, der Torwart usw.), die in ihrer Kürze, aber auch in ihrer Klasse an Canetti, einmal auch an Kafka (Der Stierkämpfer) erinnern. In diesen Tagen erscheint Jochen Schmidts erster Roman „Müller haut uns raus“. Der Titel klingt schon mal gut.

 

Dieter Wenk (09.02)

 

Jochen Schmidt, Triumphgemüse, München 2000 (C. H. Beck)