5. Oktober 2006

Finis Austriae

 

Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein haben sich viele Filme nicht von einer bestimmten Spezifik des Theaters lösen können oder wollen. Als ob man ganz ohne Kamera hatte auskommen wollen, die Sturheit des Blicks. Bei Maximilian Schell scheint das allerdings Methode zu haben, denn immerhin handelt es sich um eine Horváth-Verfilmung, bei der ja über die bloße Sprache hinaus ein gewisser Zwang bemerkbar sein sollte, der sich hier eben quasi medial als Verhinderung der Realisierung des Kinos durch die Macht des Anthropo-Theatralischen darstellt. Deshalb vielleicht auch das kleine barocke Vorspiel auf dem Theater, ganz und gar unverständlich für nicht-österreichische Ohren, aber natürlich machte hier der Ton die Musik, und der ließ nichts Gutes verheißen. Dann fängt das eigentliche Spiel an, und ein echter Marktplatz gibt Raum für einen großen Puppenspielplatz. Alles wirkt aufgestellt, der Auftritt der Figuren wie herbeizitiert von fremden Mächten, eine alte Mähr aus der Zeit der Monaden scheint sich anzukündigen, nur dass die Monaden hier wie im Verhängnis zusammenkommen. Oder man könnte denken, dass Ölschinken aus dem frühen 19. Jahrhundert anfingen, sich langsam in Bewegung zu setzen, und Veduten, die Stummfilmzeit überspringend, sich direkt im Tonfilm auszubreiten begännen. Der Realismus ist ganz der von aufgezogenen Maschinen. Auch die Natur fügt sich dem rein Kulissenhaften. Gott selbst hat die Dekoration gemalt, und bei aller Geschmeidigkeit, um nicht zu sagen ölhaften Plastizität mancher Figuren scheint der Zustand der Schöpfung nicht über das Stakkatohafte hinausgekommen zu sein. Selbst die Donau fließt nicht richtig, man springt nur in sie hinein. Alles ist von langer Hand geplant, und so sind auch etwaige Äußerungen von Gefühl und Sentiment und Ärger immer an diesen schon lange zurückliegenden Punkt zurückgebunden, der sich nachträglich nicht beseitigen lässt. Man kann ihn nur ausradieren, indem man ihn wie einen gordischen Knoten behandelt, und so lässt Marianne einfach die Verlobung mit dem Fleischhauer Oskar platzen, weil Alfred so einen schönen Moustache trägt und so viel versprechend ausschaut. Als dann das Kind da ist, ist Alfred natürlich nicht glücklich. Großmütter wissen, was zu tun ist, um junge Menschen wieder aufzubauen, auch wenn die schwächsten Glieder dabei Schaden nehmen und ihr Leben lassen. Richtige Verführungen finden nur durch das Medium des Geldes statt und können dann auch von älteren Frauen ausgehen wie Valerie, oder bleiben in der bloßen Vorstellung und richten sich gegen die Verführten. Oder aber die Verführung bleibt ganz im Modus des Gezeigten wie im Kabarett „Maxim“, wo alle Hüllen fallen, aber der Vollzug ausbleibt. Mariannes Weg weg von Oskar ist ein bloßer Umweg wieder zu ihm zurück. Die Abruptheit von Vätern, sich von ihren Töchtern loszusagen und die Hilflosigkeit dieser, selbst auf den Beinen zu stehen, wo sie doch nichts haben lernen dürfen, führt die Figuren wieder an den Punkt zurück, der sie überhaupt in Bewegung setzte, damit sie ein für allemal auf der Spur bleiben, die für sie vorgesehen war. Nichts tut so weh, als diese Spur zu verlassen. Nur das, auf dieser Spur zu bleiben.

 

Dieter Wenk (09.06)

 

Maximilian Schell, Geschichten aus dem Wiener Wald, D/A 1979, Birgit Doll, Hanno Pöschl, Helmut Qualtinger