13. September 2006

Bagatellen für Tanzmeister

 

Wie soll man sich Balletts aus der Feder Célines vorstellen? Sein famoser Stil im Rhythmus welchen Tanzes? Rigodon? So der Titel seines letzten Romans. Aber als Ballett? Wie tanzt man Céline? Führt ihn auf? Das werden sich auch die Dramaturgen und Choreografen gefragt haben, denen Céline seine kurzen Texte, seine „Ballets…“, zuschickte. Vermutlich war man ratlos. Jedenfalls hat man sie zu Lebzeiten nicht aufgeführt. Wenn man das vorliegende Buch irgendwo aufschlägt, glaubt man zunächst, irgendeinen von Célines Romanen in der Hand zu haben. Die seit „Tod auf Kredit“ obligatorischen Interpunktionszeichen, die zum Teil äußerste Knappheit der Sätze, das Hecheln, das Abklopfen von Situationen, der schwache Idealismus der Personen. Nur sind die Texte viel kürzer, eines der fünf Ballette keine zehn Seiten lang. Was am meisten auffällt: Man ist nicht in Célines Jetztzeit. Keine Abenteuergeschichten à la Bardamu, keine Chroniken mit Ferdinand im Zentrum wie in der Deutschlandtrilogie, die Protagonisten dieser Ballette sind Feen, mythologische Figuren oder Romangestalten wie „Paul und Virginie“. Das Französisch, das hier gesprochen wird, ist also nicht mit Argot „belastet“ wie in Célines Romanen, was die Lektüre im Original ein wenig erschwert. Anders gesagt sind diese kurzen Texte ein ausgezeichneter Einstieg für Leser, die Céline lieben, aber sich nicht ans Original trauen. Die Ballette zeigen in nuce, was Céline schon immer gewesen ist, ein schwarzer Humorist. Es gibt bei Céline keine tragische Fallhöhe, die Figuren wachsen in desolaten Verhältnissen heran, man könnte einfacher sagen, sie wachsen in Verhältnissen heran, denn alle Verhältnisse bei Céline sind oder werden sehr schnell desolat. Das gilt auch und gerade für die Götterwelt, zum Beispiel in „Foudres et flèches“ oder „Scandales aux Abysses“. Warum auch hat man sich Götter als in bourgeoise Verhältnisse eingebunden vorstellen müssen. Die gleiche „Sexualnot“ wie bei den Menschen. Die Ehe währt ewig. Aber die Liebe? Und erst der Sex? Man kann nicht sagen, dass die Menschen in den wichtigsten Belangen sehr produktiv gewesen sind. Und was sind die wichtigsten Kunstwerke anderes als Dokumente eben dieser Niederlage: Es fällt den Menschen nichts ein, und wenn, dann ist es großer Unsinn, verbunden mit viel Gewalt. „Die Erziehung des Herzens“, man trägt es, das Herz, als Klumpfuß und geht immer im Kreis. Wenn also Céline einen Text „Progrès“ (Fortschritt) nennt, ein Theaterstück, das in dieser Sammlung mit abgedruckt ist, weiß man sehr schnell, was es mit diesem Fortschritt auf sich hat. Was als, schon deutlich Ionesco antizipierendes, Boulevardstück anfängt, endet als Farce im Himmel mit einem lieben Gott, der über seine verfehlte Schöpfung nur noch ein Gähnen übrig hat. Diese kleinen Texte Célines sind also ein großer Spaß, den man sich nicht entgehen lassen sollte. Über drei von ihnen liegt sogar der Ruch des Verbotenen, denn „La Naissance d’une fée“, „Voyou Paul. Brave Virginie“ und „Van Bagaden“, vermutlich zwischen 1935 und 1937 geschrieben, publizierte Céline erstmals in „Bagatelles pour un massacre“, dem ersten der Pamphlete, in denen sich Céline als Antisemit outete und dessen Nachdrucke seine Witwe untersagte (die Texte zirkulieren entsprechend als teure Raubdrucke). Die Ballette selber sind „sauber“. Ihr idealer Aufführungsort ist die Vorstellung – beim Lesen dieses notorischen Schwarzsehers. Man versteht dann besser, was man alles den Leuten vergeben muss.

 

Dieter Wenk (09.06)

 

Louis-Ferdinand Céline, Ballets sans music, sans personne, sans rien, Éditions de Pascal Fouché, Paris 2001 (Gallimard)