29. Juni 2006

Die Bedienung ist taboo

 

Nicht alles ist selbst erlebt, was es zu lesen, hören oder sehen gibt. Mathematische Gleichungen, Predigten oder Kriminalhandlungen müssen sich nicht eins zu eins im Lebenslauf desjenigen spiegeln, der sie in die Welt setzt. Aber natürlich halten sich bestimmte Vorurteile bis heute. Trotz massiver Hinweise darauf, dass etwa ein Autor zu einem gewissen Teil nicht nur eine Funktion hat (zum Beispiel zu unterhalten), sondern auch eine Funktion ist (die sein bestimmtes Produkt übersteigt, weil diese Funktion nahezu unbewusst ist), gibt es immer wieder Forderungen nach Ehrlichkeit, Authentizität, die alle davon ausgehen, dass ein Autor alle Fäden in der Hand halte und er selbst der letzte Arrangeur sei. Zu dieser Auffassung gehört auch die Kehrseite der Omnipotenz, nämlich, dass ein Autor plötzlich nicht mehr weiter weiß. Charlotte Rampling spielt in „Swimming Pool“ eine englische Krimiautorin, der man schon von weitem ansieht, dass sie ausgelaugt ist. Ausgebrannt vom schreiben, vielleicht hat sie ihr Verleger einfach nur brutal verheizt. Jetzt macht er ihr einen segensreichen Vorschlag. Einfach mal Urlaub machen, er habe da in Frankreich ein nettes Ferienhaus, er würde ihr das zur Verfügung stellen. Dann ist sie auch schon da. Und sie fühlt sich gleich wohl, Luxusvilla, großer Garten, Ruhe, das nächste Dorf nicht weit, wo eine charmante männliche Bedienung sich um sie kümmert. Aber natürlich hofft sie, dass ihr Verleger selbst einmal für ein verlängertes Wochenende vorbeischaut. Ein erstes Telefonat mit ihm belehrt sie eines Besseren. Eigentlich will der gar nicht kommen. Und vielleicht hat der ja was ganz anderes mit ihr vor? Kurze Zeit später lärmt es in der Villa. Eine junge Frau taucht auf. Die Tochter des Verlegers. Panik bei der Urlauberin. Meine Ruhe. Meine Unabhängigkeit. Während die Autorin etwas frigide wirkt (ihre Kleidung ist grotesk), hat die junge Frau das Problem, das sie anscheinend gar nicht genug Männer ins Bett kriegen kann. Schriftstellern in diesem Film ist ganz klar sublimieren. Aber man lernt nie aus, denn auch Julie, die Nymphomanin, hat so etwas wie ein Tagebuch, das die Krimiautorin bei einem ihrer Streifgänge durchs Haus entdeckt und gleich mal abschreibt. Vielleicht kommen sich die beiden Frauen deshalb näher, einmal gehen die beiden zusammen essen, kündigt sich eine Freundschaft an, oder liegt hier nur wieder so ein typisches parasitäres Verhältnis vor? Der Autor als Vampir, vor dem man sich hüten sollte? Dann kommt es zu einer folgenreichen Begegnung, die sympathische männliche Bedienung wird von Julie abgeschleppt, das sieht die Autorin natürlich gar nicht gern, aber der Abend gestaltet sich anders als geplant, kurze Zeit später liegt ein Toter im Garten. Spätestens hier denkt der Zuschauer natürlich, holla, was war der Gast noch mal von Beruf? Krimiautorin? An ein, zwei Stellen gab es doch schon mal so seltsame Bilder zu sehen zwischen Traum und Wirklichkeit, vielleicht sehen wir hier schon die Verfilmung einer Fantasie, bevor sie sich in den fertigen Text niedergelegt hat? Die beiden Frauen entsorgen gemeinsam das Problem, und mittlerweile hat die Autorin auch schon etwas mehr von der tragischen Familiengeschichte von Julie mitbekommen. Und man lernt, als Nymphomanin wird man nicht so einfach geboren. Die Familienverhältnisse. Tragische Unfälle. Einsamkeit. Solche Schicksale gebieten dann doch Solidarität. In diesem Krimi ist aber mal nicht der Gärtner der Mörder, aber er spielt eine wichtige Rolle. Denn beinah entdeckt er die im Garten verscharrte Leiche, und vielleicht ist das auch schon wieder ein Teil einer Fantasie, denn jetzt agiert die Autorin selbst als erotisches Wesen, sie übernimmt diesen Part von Julie, lenkt den Gärtner ab und rettet den Frieden. Dann reist Julie ab, und auch der Roman scheint ziemlich fertig. Zurück in London, spielt die Autorin ihrem Verleger übel mit, vielleicht ist es aber auch nur Rache. Aber für was? Sie legt ihm das Manuskript vor in dem intuitiven Wissen, dass es ihm nicht gefallen wird. Die Intuition trifft ins Schwarze. Deshalb hatte sie den Roman auch einem anderen Verlag angeboten und kann ihn nun schon, gedruckt, dem alten Verleger vor die Nase halten. Der natürlich sauer ist. Und dann kommt Julie und besucht ihren Vater. Aber Julie ist gar nicht die Julie, wie wir sie am Swimming Pool sahen, so sexy, so leidend. Ein kleines Mädchen mit Zahnspange. Tja, ziemlich vertrackt das Ganze. Wo ist die Wirklichkeit, wo die Fantasie? Auch mit dieser Verunsicherung ist „Swimming Pool“ ein bisschen langweilig.

 

Dieter Wenk (06.06)

 

François Ozon, Swimming Pool, F/GB 2003, Charlotte Rampling, Ludivine Sagnier, Charles Dance