5. Juni 2006

Wunder an Komik

 

„Ich glaube nicht an die Arbeitslosigkeit, irgendwas ist immer zu tun“, sagte der Campingplatzbesitzer und Ankauf-Verkauf-Unternehmer Tommy Parker. Und tatsächlich leidet die Hauptperson in Magnus Mills’ Roman „Indien kann warten“, ein Motorradfahrer, der auf dem Weg nach Indien lediglich ein paar Tage auf Parkers Campingplatz Zwischenstation machen wollte, nicht an Unterbeschäftigung. Mit jeder Handlangertätigkeit wächst er mehr in die nordenglische Dorfgemeinschaft hinein, bis er zu einem festen Teil in ihr geworden ist. Das liest sich erfrischend absurd und ist als Einzelschicksal dennoch halbwegs glaubwürdig. Nun erhebt Mills’ neuer Roman „Ganze Arbeit“ Parkers Glaubensbekenntnis zum Gesellschaftsprinzip – und das ist dann zwar absurd, aber leider selbst auf 150 Seiten etwas langatmig.

 

Ein ausgeklügelter Plan sorgt dafür, dass garantiert immer irgendwas zu tun ist. Tagtäglich schwärmt eine Armada von Standardlieferwagen aus, die ein Netz aus Depots mit Ersatzteilen für eben diese Standardlieferwagen versorgt. Dieses „Scheme for Full Employment“, wie der Roman im Original heißt, ist die Weiterentwicklung der ABM-Gesellschaft zum Perpetuum mobile. Doch als wäre die Sinnlosigkeit der Beschäftigung nicht irritierend genug, kommt es auch noch zu handfesten Haarspaltereien zwischen jenen Fahrern, die gerne mal in einen vorgezogenen Feierabend gehen, und denen, die einen Acht-Stunden-Pauschaltag verfechten.

 

Mit seinen bislang vier Romanen hat Magnus Mills sich einen hervorragenden Ruf als Meister des lakonisch-reduzierten Tons erschrieben. Schon mit seinem Debüt „Die Herren der Zäune“ wurde er 1998 für den Booker-Preis nominiert. Doch dass ein ehemaliger Briefträger und Busfahrer den angesehensten britischen Literaturpreis gewinnt, so weit ging die Liebe der Briten für Exzentrik bislang dann doch nicht. Dabei gibt es derzeit kaum eine Stimme, die karger als Mills wäre und dabei doch von einem feinen britischen Humor durchsetzt ist. Seine Verweigerung eines klassischen Plots ist gewöhnungsbedürftig, die Statik seiner Bücher zunächst irritierend. Bis der atmosphärische Sog und die kalkulierte Mehrdeutigkeit den Leser ergreifen.

 

Seit „Die Herren der Zäune“, das selbst der sonst eher wortkarge Thomas Pynchon als „ein Wunder an Komik“ pries, arbeitet Mills auf Statik und Abstraktion hin. Während es in seinem Debüt neben phlegmatischen Zaunbauern zumindest noch tote Auftraggeber gibt, geht der Ereignisquotient in den folgenden Romanen zusehends gen Null, gleichzeitig steigt die Ungreifbarkeit des Settings.

 

In „Indien kann warten“ endet eine geplante weite Motorradreise bereits auf einem nahe gelegenen Campingplatz. In „Zum König!“ vergisst der Protagonist, der auf einer einsamen, stürmischen Hochebene in einer Blechhütte lebt, dass er ursprünglich doch aufgebrochen war, um in einem Canyon zu leben. Der gescheiterte Aufbruch, die versandete Bewegung ist Mills’ Thema. In „Ganze Arbeit“ führt er es zu Ende. Nur wenn die Lieferwagenflotte zirkuliert, wenn sie den großen Fluss ihrer eigenen Ersatzteile zwischen den Depots in Bewegung hält, nur dann bleibt alles, wie es ist. Kollektive Bewegung garantiert maximale Statik.

 

Die Konzentration auf diese Konstruktion – bewusst unterlaufen von der inzwischen typischen Vielzahl angerissener Subthemen – ist gleichzeitig die Stärke und die Schwäche des Romans. Seine Schwäche, weil der Vollbeschäftigungsplan als Handlungsrahmen auf voller Länge zu technoid daherkommt. Seine Stärke, weil Mills jeden Kontext, jedes Details außerhalb der Arbeitswelt konsequent vermeidet, bis das Buch frei im literarischen Raum zwischen Beckett und Kafka schwebt. Es könnte vor 100 oder in 100 Jahren, in England, Amerika oder auf der Venus spielen. Mills’ Stil ist stark genug, die eigene Welt, die er sich schafft, auch zu füllen.

 

Gregor Kessler

 

Magnus Mills: Ganze Arbeit, Suhrkamp 2006

 

Cohen+Dobernigg Buchhandel

 

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