16. Mai 2006

Herrenopfer

 

Jeder Fußballspieler weiß, dass er irgendwann in seinen Dreißigern abzutreten hat. Torhüter dürfen meist etwas länger. Schauspieler dagegen sind nicht in ein vergleichbares körperliches Leistungskorsett eingeschnürt. Ihr wachsendes Alter lässt sie einfach am Rollenrepertoire der Generationen entlanggleiten. So lange persönliche Eitelkeit nicht freiwillig den Rückzug antreten lässt oder die Gunst des Publikums aus irgendwelchen Gründen verloren geht, steht eigentlich nichts dagegen, dass der Schauspieler als Schauspieler ins Grab geht. George Cukors gesangsreicher Film zeigt, dass manchen Schauspielern dieses Rollenglissando verwehrt ist, dass man nicht so recht weiß, ob etwa Alkohol eher den Auslöser oder den Tröster abgibt, und dass diesen rollenlosen Ex-Schauspielern plötzlich im wirklichen Leben eine Realisierung ins Haus steht, auf die sie keine Probe vorbereitet hat. James Mason gibt hier den Ex-Star, der hier und da noch mal probiert, ob er nicht doch noch ankommt. Er macht sich aber nur lächerlich, oder man hat im Gegenteil Angst vor seinen alkoholdurchtränkten peinlichen Interventionen. Zufällig lernt er bei einem solchen Impromptu die junge Sängerin Esther (Judy Garland) kennen. Sie rettet den Abend durch erstaunliche Improvisationsleistungen und gibt Mason gleichzeitig eine neue Aufgabe in seinem leeren Leben. Mason findet, dass Esther erstaunlich gut singe, dass sie ihre jetzige Truppe verlassen müsse und sich in Hollywood vorstellen solle. Ob das nicht ziemlich riskant sei, fragt die Sängerin. Ja, schon, aber wie soll das anders vorangehen? Die Einführung von Esther gelingt ausnehmend gut, Mason hätte Talent zum Talentscout. Der Oberboss (Charles Bickford) wird schnell weich, auch er mag Esthers Stimme. Man befindet sich im Herzen des Films, auf- und absteigende Bahnen kreuzen sich und so muss auch noch eine Liebe her zwischen dem abgewrackten Entdecker und der auf eine große Karriere hoffenden Sängerin. Kann das gut gehen, fragt sich der Zuschauer? Natürlich fragen sich das auch die Produzenten und Manager von Esther. Für sie ist Mason völlig am Ende, die Entdeckung vielleicht die letzte Tat, ab jetzt kann dieser Mann eigentlich nur noch stören. Man hat ihn auch schon zu lang gehalten, jetzt muss er dafür bezahlen. Er wird demontiert, wird arbeitslos (großartig, wie er dann bei der Oscar-Verleihung von Esther, die mittlerweile seine Frau geworden ist, quasi erwartungsgemäß skandalträchtig auftritt und vor dem werten Publikum nach Arbeit fragt, der Mut der Verzweiflung, vielleicht), nur der Alkohol, und Esther, bleiben ihm treu. Auch eine Entziehungskur hilf nicht. Ebenso wenig ein Reintegrationsversuch ins schauspielerische Leben von höchster Stelle. Er sinkt immer tiefer, er verwickelt sich in Schlägereien, landet vor dem Richter, nur die Großherzigkeit seiner Frau rettet ihn vor dem Gefängnis. Aber die Gazetten sind unbarmherzig. Außerdem glaubt Esther, die Mason ja ihre Karriere verdankt, dass sie sich nicht richtig um ihn gekümmert habe. Und dass sie das jetzt nachholen müsse. Die Manager bekommen Panik. Wahre Liebe im richtigen Leben, das sollte es doch eigentlich nur im Kino geben dürfen. James sieht die Katastrophe kommen und merkt, dass er einen Teil seiner Arbeit noch vor sich hat. Einen Abschluss, der gleichzeitig der größte Liebesbeweis wäre. Er macht den Weg frei. Erlöst Esther von dem karrieregefährdenden Hin und Her und sich selbst von einem Dasein, von dem ihn niemand zu erlösen imstande wäre. Das müssen Männer immer noch mit sich selbst ausmachen. Eine schöne Aufnahme gegen Ende, die Sonne geht unter, James entkleidet sich bis auf die Badehose, und dann geht er hinein ins Wasser, auf Nimmerwiedersehen. Die Manager müssen dann nur noch eine kleine Überzeugungsleistung schaffen, das Publikum, der künstlerische Auftrag, das Herrenopfer – und dann macht Esther das, was sie am besten kann, singen, und wenn die Welt dabei zugrunde geht.

 

Dieter Wenk (05.06)

 

George Cukor, Ein neuer Stern am Himmel (A Star Is Born), USA 1954, Judy Garland, James Mason, Charles Bickford