8. Mai 2006

Mandorla und Pkw

 

Ausstellung „Latünelmandor“, bis 10. Juni 2006, Reinhold Engberding und Moritz Hasse in der Galerie Carolyn Heinz

 

In den Häkelarbeiten Reinhold Engberdings west Zahlenmagisches. Rhythmisch und methodisch streng, häkelt der Mann im Kreis, mit einem festliegenden System der Maschenanzahl und er lässt sich nie dazu verführen, ein Deckchen zu häkeln. Es gilt bei diesen Häkelarbeiten wie auch bei den Malereien von Moritz Hasse die brutale Feststellung aus der „Dialektik der Aufklärung“: „Vernunft ist das Organ der Kalkulation, und des Plans, gegen Ziele ist sie neutral.“

Man erfährt also etwas von den vernunftgemäßen Strukturen, nicht etwas über das Ziel. Denn das sieht man vor sich, als Malerei oder schwarz eingesponnenes Riesenrad.

 

Eine Arbeit heißt „24 23 24“, prosaisch gesprochen, ist dem Künstler ein Ärgernis unterlaufen. Er wollte in Schläuchen mit einem 24 Maschendurchmesser auf der Länge eines Knäuels genau 24 Tischtennisbälle verstauen, aber das hat nicht geklappt. In Schläuche mit 24 Maschen passen nur 23 Bälle.

 

Es wäre allerdings tatsächlich kurios, wenn es passen würde. Denn seit wann wissen Häkelgarnfabriken und Tischtennisbälle voneinander und seit wann würden sie sich aufeinander abstimmen und warum sollten sie das, nur Reinhold Engberding arbeitet mit Tischtennisbällen und Häkelgarn gleichzeitig.

 

Es gehört zu den Privilegien der Kunst, Materialien disparater Natur miteinander zu kombinieren. Also, es passt nicht! Oder, passt es doch? „24 23 24“. Magische Sprüche und Zahlenkombinationen dienten und dienen weiterhin als Talisman gegen Krankheiten, besonders gegen die Tollwut. Man schreibt dafür eine geeignete Formel oder einen Spruch auf ein Stück Zinn, setzt oben, unten, rechts und links Kreuze, umreitet damit dreimal das Feuer, wirft das Zinn im Namen des dreieinigen Gottes in die Flamme und jagt schnell davon. Bei anderer Gelegenheit kann man auch Brände damit eindämmen. Bis in das 18. Jahrhundert sind amtliche Verordnungen zum Beispiel aus Sachsen bekannt, die vorschrieben, Holzteller mit magischen Formeln vorrätig zu halten, um sie in brennende Gebäude zu werfen.

 

Zurück zur Häkelarbeit. Wenn man diese Arbeit im Hause hat, wird man wahrscheinlich keinen Zimmerbrand erleben, selbst wenn man ein Sachse ist. Denn „24 23 24“ ist eine Mandorla. Und damit ein im höchsten Maße heilsgeschichtlich durchtrainiertes Objekt, und deshalb Unheil abwehrend. Die Mandorla bezeichnet eine Gloriole oder Aura rund um eine ganze Figur. Damit unterscheidet sich die Mandorla vom Heiligenschein, der ja bekanntlich nur auf dem Kopf getragen wird. Die Mandorla kann kreis-, ellipsen- oder mandelförmig sein. Mandorlen werden als Ausdruck der Licht-, bzw. Heilssymbolik einer göttlichen Figur gedeutet. Oft beschreiben Mandorlen die Bahnen der Himmelskörper. Und man kann sich umstandslos die Tischtennisbälle in den schwarzen Schläuchen als Planeten und Sterne im finsteren Universum denken.

 

Aber was ist nun mit dieser verflixten 23?

 

23 ist eine äußerst magische Zahl. Sie kommt im Zusammenhang mit allen nennenswerten und weniger nennenswerten Verschwörungstheorien vor. Ein besonders deutlicher Hinweis auf eine Verschwörung liegt übrigens vor, wenn sich auf keine noch so neunmalkluge Weise ein Bezug auf 23 herstellen lässt.

 

23 ist die erste Primzahl, in der beide Ziffern Primzahlen sind. Beckham trägt die 23 auf dem Trikot ... Michael Jordan trug sie auch. Julius Cäsar erlitt durch seine Mörder 23 Stichwunden. Es gibt einen ganzen Film über die 23, kurz: Die Zahlenmagie ist ein ins Kraut schießendes Gewerbe mit der 23 an der Spitze.

 

Dennoch kann die Zahlenmagie als Mutter der Mathematik gelten, denn meist warf die fieberhafte Suche nach göttlichen Zahlengesetzen als Abfallprodukt allerlei alltagstaugliche Erkenntnisse ab. Alle kennen das Märchen von den Teflonpfannen, die man auf dem Mond dann doch nicht brauchte, aber hier umso begeisterter zur Anwendung brachte.

 

23 verhexte Bälle in einem Schlauch á 24 Maschen. Die Hälfte von 24 ist 12. Die 12 steht für das vollständig Gewordene. Im Alten Testament ist 12 die Zahl der Söhne Jakobs und damit der Stämme Israels. Nach diesem Vorbild im Neuen Testament, das dem alten Testament ja alles nachgeplappert hat, ist 12 die idealtypische Zahl der Jünger Jesu. Das Zweifache der vollkommenen Zahl 12, also 24, macht alles gut. 24 ist eine Zahl der Gesamtheit.

 

Es gehört zur Abstrusität der Zahlenmagie, dass 13 ohne Frage böse ist, weil es einen Zähler über die Vollkommenheit 12 hinausschießt, gleich 12 Zähler mehr, sind aber wieder super, weil es ja auch die Gesamtheit der Tag- und Nachtstunden ist, und außerdem ist am 24.12. Bescherung, Bescherung ist immer gut.

 

Künstler richten Bescherungen an zu jeder Jahreszeit und vollkommen unabhängig vom Datum. Engberding hat also die verschwörerische 23 in die alles bergende 24 gebannt, obendrein in Form einer Mandorla – es passt doch.

 

Zahlenmagie ist nicht das, was Engberding dazu veranlasst zu häkeln, seine Betitelung ist nur eine Einstiegshilfe, ein ironisches Referieren auf das Feld des Zahlenbrimboriums, ein Feld, das sich durch ein sonderbares Gleiten in Bedeutungsebenen und Sinnträgern auszeichnet, und diese Merkmale teilt Kunst mit Magie. Kausalität gilt als allein selig machende Kategorie im vom Sinn geplagten Abendland. Kausalität ist aber meist zirkulär und das Leben magischer, als man sich eingesteht. Eine der vornehmsten Aufgaben der Kunst ist es, diese Zirkularität offen zu legen. Engberding tut das unter anderem in seiner Betitelung. Seine Formationen verlocken einen mit vager Ähnlichkeit. Und wenn man sich hineintraut in diese Würste, Eier und Tüten, weil man sich hundertprozentig sicher ist, dass man schon herausbekommen wird, an was einen diese Form erinnert, macht man schon wieder den Fehler, sich auf Kausalität zu verlassen: Dinge sind aber viel seltener gleich, als man denkt.

 

Also man sollte Reinhold Engberding nicht fragen, wie lang ein Knäuel Häkelgarn ist, ob es etwas mit seiner Körpergröße zu tun hat und warum es schwarz sein muss. Es gilt der Satz von Henry Ford, der zur Massenproduktion von Autos so großartig formulierte: „Der Kunde kann jede Farbe haben, solange sie Schwarz ist.“

 

 

 

8. Mai 2006

Dieser Satz gilt auch für die Malerei von Moritz Hasse: Der Kunde kann selbstverständlich jedes Bild haben, solange ein Auto und ein Haus drauf ist.

 

Auf der Einladungskarte findet sich die rätselhafte Buchstabenkombination Tünel. Tünel heißt ein Platz in Istanbul, von dort aus startet die gleichnamige U-Bahn, und in Istanbul hielt sich Moritz Hasse im letzten Jahr für einen Monat auf. Er malte die Gegend und benennt die Bilder einleuchtender Weise nach ihrer Herkunft. Tünel also oder andere Straßennamen. Moritz Hasse malt Stadtansichten, und ich spare hier nun an einem ausführlichen Exkurs zu Stadtansichten in der Kunstgeschichte, nur so viel ist wichtig, dass mit einer Stadtansicht stets ein ganzes Weltgefüge, Machtgefüge, ein idealtypisches Bild der Gesellschaft geliefert wird. Moritz Hasse hat den europäischen Teil Istanbuls zum Thema seiner Malerei gewählt, und es ist verblüffend, wie ähnlich sich europäische Städte sehen. Hängt man ein Hasse-Bild eines Berliner Straßenzugs neben eines aus Moskau oder eben Istanbul wird man nicht darauf kommen, welche Häuser wo genau zu finden sind, sie können in allen europäischen Großstädten zu finden sein. Und es ist ein ganz spezifisches Machtgefüge, welches in dieser Architektur zum Ausdruck kommt, nämlich ein europäisches: Immer ein bisschen 19. Jahrhundert, mit all seiner verquälten Aufklärung und der romantischen Innerlichkeit als Charaktertabernakel einer Schuldgesellschaft. Freud musste nur noch einmal trocken husten, und fertig war der latent therapiebedürftige Europäer mit eigenem PKW.

 

Moritz Hasse porträtiert aber nicht nur die architektonischen Symptome der Gesellschaft, sondern er malt. Immer mit gleich großem Pinsel für alle Partien des Bildes stehen die Farben unverwandt nebeneinander, als kompositorisch durchgearbeitete Flecken. Der Effekt der Wiedererkennbarkeit, verhüllt täuschend die Willkür des Malers. Denn natürlich ist es Willkür, Kunstproduktion ist kein Naturgesetz: „Vernunft ist das Organ der Kalkulation, und des Plans, gegen Ziele ist sie neutral.“

 

Nora Sdun

 

Ausstellung „Latünelmandor“, bis 10. Juni 2006, Reinhold Engberding und Moritz Hasse in der Galerie Carolyn Heinz, Eppendorfer Landstraße 10, Hamburg, Dienstag bis Freitag 12-19 Uhr, Samstag 11-16 Uhr