Autor

 

Andre Wnendt

Inhalt

 

»Sie, Christel, 35, brünett, war extrem hager, grobstofflich eine Art naiver Vamp, feinstofflich ein bäuerliches Kind. Er, Paul, 36, war schwarzhaarig, sportlich, klein und zäh. Grobstofflich ein antiker Ringkämpfer, feinstofflich ein verkorkster Teufel, versuchte Schriftsteller zu sein.« Das Paar treibt sich im Deutschland der dreißiger Jahre in mystisch-okkulten Geheimlogen herum, übt sich in esoterischen Praktiken und wird nach dem Tod im Bombenhagel anschließend wiedergeboren - um sich im Berlin der 60er Jahre im Umfeld von Hare Krishna und Bhakti-Yoga wiederzufinden. Ein drei, vier oder fünf Generationen umspannender Selbstfindungstrip.

 

 

 

 

 

»Nach ein paar weiteren Jahren hatten sie sich durch Nähern entfernt und zwar so, dass die alltägliche Kommunikation immer mehr an den Gegenständen alltäglicher und mentaler Geschäftigkeit hängen blieb und dort aber immer genauer wurde. Sie dünnten sich sozusagen mit dem Bespielen des Außen aus. Dünnten sich in eine glanzlose Oberfläche spröder Anatomie von Deutungen aus. Und obwohl die Zeit, in der sie lebten, keine einfache war, ein Durcheinander ideologischer Energien, gebeutelt von Arbeitslosigkeit und Umbruchsunsicherheit einer neuen Ära, interessierten sie sich kaum für die Welt, für die sozialen oder politischen Strömungen ihrer Zeit. Vielleicht verzerrten sie sich zu einer Physiognomie privatistischer Mythologie von vielleicht pseudomystischem Dogma, das zwischen Alltagsrassen und analytischer Leere in einen Fatalismus von Verwehung hin und her staubte. Vergifteter Staub aus Epochen brutalster und dümmster Handlungen. Ein Erbe, das den persönlichen Gott zugunsten einer strukturellen, formlos-rationalisierten Freiheit abgeschafft hatte und das in den Moloch des Maschinenhaften mündete und unendliches Freisein versprach. Allerdings war auch in solchen Haupttendenzen immer wieder das Stehaufmännchen der Menschlichkeit aufgestanden, um die zersplitterten Teile des Puzzles wieder zu einer schützenden, wärmenden und Durchsicht gewährenden Glasscheibendecke zusammenzuflicken.

 

»Das hat heute richtig gut geschmeckt.« Er blickte sie länger an als sonst nach dem Essen. Sie räumte die Teller ab, ohne seinen Blick zu erwidern.

 

»Danke!«

 

Komisch, dachte sie, gerade heute hatte sie überhaupt keine Lust zu kochen gehabt, hatte es einfach nur so hingeklatscht.

 

»Wie weit bist du denn mit deinem Essay?«

 

»Och, es geht ganz gut voran. Ich denke, übermorgen wird er fertig. Ich hoffe, dass sie ihn diesmal nehmen werden.«

 

»Ja, das hoffe ich auch für dich!«

 

Sie strich von hinten über seine Schultern. Er reagierte nicht, dachte sofort wieder an seine Grundthesen und die dazu gemachten Rechtfertigungsstrategien.

 

»Denkst du bitte daran, dass wir heute Abend bei Sarah eingeladen sind?«

 

»Ach ja, richtig, richtig.«

 

Er zündete sich eine Zigarette an und machte es sich im Ohrensessel bequem.

 

»Und ehrlich gesagt, ich würde mich freuen, wenn du heute das Thema analytische Mystik sein lassen könntest.«

 

Beleidigt und besserwisserisch fiepste er: »Entschuldige, dass ich der Einzige in unserem Freundeskreis bin, der ein höheres Verantwortungsgefühl hat!«

 

Christel sagte nichts und ging ins Badezimmer.

 

Mental aktiviert und seelisch verwirrt sprang Paul aus dem Sessel. Zog nervös ein, zwei Bahnen durchs Zimmer, blieb beim Fenster stehen, ballte eine Faust, bis nur noch das Weiße an den Knöcheln zu sehen war, und sagte mit zerknirschter Stimme: »Weltherrschaft!«

Buch

Andre Wnendt: 5000 Jahre – Ein Akkord

Roman

Textem Verlag 2016

Gestaltung: Christoph Steinegger/Interkool

104 Seiten, gebunden

14 Euro

ISBN: 978-3-86485-124-7

 

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