3. März 2009

Verwünschungen

 

Man kann es sich sehr leicht mit ihm, Artaud, machen, man kann sagen, ja, ja, diese Überspanntheit, diese irren Erwartungen an ein Theater der „Grausamkeit“, das er ja selbst nie verwirklichen konnte, diese Schätzung seiner kleinen Anzahl von literarischen Lieblingen (Baudelaire, Nerval, Lautréamont, van Gogh etc.), die späte Bestätigung platonischer Befürchtung, dass da irgendwas nicht stimme mit diesen Künstlern, diesen Artisten auf einem anderen Gelände, die aufgrund ihrer Wahrheit zu Grunde gehen mussten, aber an der Gesellschaft starben, weil diese, so Artaud, kein Interesse daran haben konnte, dass die Wahrheit des Künstlers sich vermasst und so die Gesellschaft durcheinanderbringt, auf den Kopf stellt und von einer unendlichen Lethargie befreit.

 

Man kann natürlich sagen, dass das ein Trick dieser unverstandenen und dadurch doch sehr genau verstandenen Künstler war, zu behaupten, dass von ihnen eine Gefahr ausgehe, die gerade durch die Unverhältnismäßigkeit der Masse der Antipoden (der Einzelne gegen alle anderen) sich ausdrücke, da es nämlich um Besitzstände gehe, die, gerade weil der Besitz (der Wahrheit) so rar verteilt sei, um so radikaler, fataler für die Nicht-Besitzer sei. Die Potenz des Künstlers als Virus, das man mit seinem Träger wegschließen oder sonst wie beseitigen muss. Artaud schreibt das so auf: „Wenn ich vor acht Jahren interniert worden bin und seit acht Jahren interniert gehalten werde, so auf Grund eines offensichtlichen Kampfes der allgemeinen Böswilligkeit, die um keinen Preis zulassen will, dass M. Antonin Artaud, Schriftsteller und Dichter, im Leben jene Ideale verwirklichen kann, die er in den Büchern manifestiert, denn man weiß, dass M. Antonin Artaud Kampfmittel besitzt, deren sich zu bedienen man ihn hindern will, wenn er – mit einigen Seelen, die ihn lieben – aus dieser sklavischen, für sich und die anderen vor Idiotie erstickenden Welt, und die sich in dieser Erstickung gefällt, heraustreten will.“

 

Ja, ja, die lieben Kampfmittel. Das Kampfmittel des Künstlers ist seine Kunst. Von dieser Fatalität ist heute nichts mehr übrig geblieben. Aber auch umgekehrt haben sich die Dosen des Künstlervertilgungsapparats bis zur Unkenntlichkeit verkleinert. Kein Elektroschock erreicht mehr ein produktives Hirn. Und selbst die Verschwörungstheorien laufen nicht mehr, sind vielmehr ins politische Feld abgewandert. Keine Zaubereien belästigen mehr die künstlerische Hand und verhindern die kosmische Reichweite seiner umwälzenden Kraft. Ein entsprechendes Kraftpaket war für Artaud eben auch der Künstler Vincent van Gogh. Die Analogien mit dessen Leben sind zu schön (also fürchterlich), um von Artaud nicht ausgereizt zu werden. Genialität, die für die Gesellschaft eine Gefahr darstellt und deshalb unter Aufsicht gestellt werden muss – in der Psychiatrie. Hier der Doktor Gachet, dort ein gewisser Doktor Lacan, der Artaud 1938 in einem psychiatrischen Gutachten ein zwar langes, aber unkreatives weiteres Leben bescheinigte.

 

Kurz vor seinem Tod im März 1948 besucht Artaud eine Van-Gogh-Ausstellung in Paris. Schriftstellerischer Niederschlag dieser Visite ist „Van Gogh, Selbstmörder durch die Gesellschaft“. Wie der Titel schon andeutet, ist dieser Text kein Stück Kunstkritik. Keine, auch nicht Artauds Bildbeschreibungen, könnten die Gefahr andeuten, die angeblich von van Goghs Kunst ausgehen. Van Gogh ist in einem doppelten Sinn Vehikel: für Artaud selbst und sein Schicksal (und das einiger anderer), und für eine kommende Umwälzung der Gesellschaft. So heißt es an einer Stelle: „Eines Tages wird van Goghs Malerei, bewaffnet mit Fieber und guter Gesundheit, zurückkehren, um den Staub einer Welt im Käfig in die Luft zu schleudern, die sein Herz nicht mehr ertragen konnte.“ Ein letztes Mal wird vom äußersten Rand der Gesellschaft der Kunst eine solche Bürde auferlegt. Van Goghs Bilder sind schon lange zurückgekehrt. Sie sind mitten unter uns. Und wir haben sie alle ganz toll lieb.

 

Dieter Wenk (02-09)

 

Antonin Artaud, Van Gogh, der Selbstmörder durch die Gesellschaft, Berlin 2009 (Matthes & Seitz Berlin)

 

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