2. Februar 2008

Evaluation aus Japan

 

Angesichts politischer Verhältnisse und Allianzen leuchtet es unmittelbar ein, dass Italien und Japan ab 1933 keine bevorzugten Exilländer waren. Außerdem: Wusste man denn, wie lange der Spuk (der Hitlers) dauern würde und dass aus dem Spuk ein Alptraum werden würde? Viele Betroffene gingen erst mal ins deutschsprachige Ausland, nach Wien, Prag oder wohin man eben Verbindungen hatte. Der Philosophiedozent Karl Löwith teilte mit allen Juden in Deutschland die Erfahrung, spätestens beim Inkrafttreten des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ im April 1933 als Jude in Deutschland nicht länger erwünscht und von einem auf den anderen Tag arbeitslos zu sein. Löwith konnte allerdings vorweisen, dass er Soldat im Ersten Weltkrieg war, was ihm bis zu den Nürnberger Gesetzen von 1935 Aufschub verschaffte (der so genannte Front-Paragraf). Bereits vor 1933 hatte sich Löwith bei der Rockefeller Foundation um ein Arbeits-Stipendium in Italien beworben, wo er sich 1934 mit seiner Frau niederließ. An eine Rückkehr nach Deutschland war ein Jahr später nicht mehr zu denken, der Dozent, der er in Marburg war, hatte dort keine Zukunft mehr. Das besonders Perfide, so Löwith in seiner Autobiografie aus dem Jahr 1940, war, dass er als Protestant nachträglich vom NS-Staat – wie so viele andere (assimilierte) Juden – zum Juden gemacht wurde. Ob er wollte oder nicht, er hieß jetzt, so stand es im Pass, Karl „Israel“ Löwith. Die Frauen nannten die Nazis alle „Sara“. Karl Löwith rechnete es dagegen den Menschen in Italien hoch an (und das waren manchmal auch Faschisten), dass sie in der Lage waren, zwischen Staatsideologie und Alltag zu unterscheiden. Vieles Krude kam „unten“ erst gar nicht an, im Unterschied zu Deutschland, wo viele – was aus unmittelbarer Erfahrung Löwiths mit akademischen Kollegen hervorgeht – plötzlich diesen antisemitischen Furor hatten, gegen den kein Argument ankam. Die so genannte Elite war nicht davor gefeit, mit Blindheit geschlagen zu werden. Zonen der Dummheit verschoben sich, wo ein massiver (hier: politischer) Umschlag einsetzte. Während seines Italien-Aufenthalts erfährt Löwith von einem begeisterten japanischen Studenten, dass man ihn in Japan kennt, also gelesen hat. Löwith war insofern eine akademische Ausnahme, als er der einzige war, der von Martin Heidegger in Marburg habilitiert worden war, bevor Heidegger einen Ruf nach Freiburg erhielt. Löwith gehörte zu denen, die von Heidegger auch als Person fasziniert waren und gemerkt hatten, dass hier etwas Neues im Entstehen war. Allerdings wahrte er so viel Distanz zu seinem Lehrer, als er glaubte, dass 1933 für Heidegger kein Unfall war, sondern dass die Gefolgschaft Heideggers gegenüber Hitler bereits in „Sein und Zeit“ vorweggenommen war. Heidegger, ein nationalsozialistischer Philosoph; auch Carl Schmitt ist für Löwith ein nationalsozialistischer „Denker“, weil er es in seiner politischen Philosophie für unverzichtbar hält, einen Feind zu haben. Klar, dass im Deutschland dieser Zeit der Jude der Feind war. Ein Konstrukt, aber mit weit reichenden Folgen. Über die Popularität Heideggers ist also Löwith auch im fernen Japan bekannt, und insofern ist es eher ein Zufall (wie schon im Fall Italien), dass Löwith gerade in den Ländern Zuflucht fand, die mit Deutschland mehr oder wenig befreundet waren. 1936 ging Löwith mit seiner Frau nach Sendai, wo er Philosophie lehrte, forschte und schrieb – und fürchterlich einsam war, neben seiner Frau gab es nur noch einen Engländer als einzigen Europäer in dieser mittelgroßen nordjapanischen Stadt. Ein halbes Jahr vor Pearl Harbour gelang es Löwith, in die USA weiter zu emigrieren, auch hier hatte er das Glück, dass er über Verbindungen einen Lehrauftrag erhielt, ein paar Jahre später unterrichtete er übrigens an der „New School for Social Research“ in New York. Anlass dieser Autobiografie war ein Preisausschreiben, das drei Professoren aus Harvard 1940 auslobten, um von Emigranten Einblicke in das nationalsozialistische Deutschland zu erhalten („An alle, die Deutschland vor und nach [sic!] Hitler gut kennen!“). Löwith gehörte nicht zu den Preisträgern (der Herausgeber verrät in dieser Neuausgabe nicht, wer den Preis gewann oder ob anderen bekannte Persönlichkeiten an dem Wettbewerb teilgenommen hatten). Erst nach dem Tod des Philosophen geriet das Manuskript erneut in die Hände seiner Frau Ada, die sich von Freunden und Bekannten von der Bedeutsamkeit des Dokuments vielleicht auch gar nicht erst lange überreden lassen musste. Natürlich ist das meiste dem an der damaligen Zeit Interessierten bekannt, aber gerade die Einsichten in das akademische Milieu nicht nur in Nazi-Deutschland, sondern auch ein wenig in Italien und Japan machen diesen Bericht zu einem sehr lesenswerten Text, der im Ton erstaunlich nüchtern ist. Anders als sein Lehrer Heidegger ist Löwith nicht mit einer „eigenen“ Philosophie an die akademische Öffentlichkeit getreten. Erstaunlich aber, dass sich in einem kleinen, hier ebenfalls abgedruckten Text Löwiths aus dem Jahr 1959 (Curriculum vitae), der Begriff „Dekonstruktion“ findet. In Heideggers „Sein und Zeit“ ist immer nur von „Destruktion“ die Rede. Sprach Heidegger später selbst von „Dekonstruktion“? (Gadamer lehnte den Begriff als in sich widersprüchlich ab, aber gibt es nicht auch das ganz geläufige Wort „Dekomposition“?) Einmal mehr scheint hier Derrida eine Spur erwischt zu haben, die er dann im eigenen Namen ausbaute.

 

Dieter Wenk (01-08)

 

Karl Löwith, Mein Leben in Deutschland vor und nach 1933. Ein Bericht, neu herausgegeben von Frank-Rutger Hausmann, Stuttgart/Weimar 1986/2007, Metzler

 

Cohen+Dobernigg Buchhandel

amazon